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Drown Your Brain: Die ertränkten Ikonen

11.11.2010

Der englische Künstler Banksy nimmt den Zuschauer in seinem Filmdebüt, einer Dokumentation über Street-Art, mit auf eine Reise durch die Kunst unserer Zeit.

In seinem auf den ersten Blick unangenehm nach Selbstbeweihräucherung riechendem Filmdebüt „Exit through the Gift Shop“ (Gehe über Los, lasse ein paar Euro da!) konterkariert der Superstar unter den Street-Art-Künstlern, der immer noch anonym gebliebene Engländer Banksy, den Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts auf eine intelligente, tiefgründige, ironische und sehr unterhaltsame Weise und offenbart das Wechselverhältnis zwischen Underground und Kommerz.

Durch die Konstruktion einer künstlerischen Karriere gelingt es ihm, die vieldiskutierte und oft gestellte Frage „Was ist Kunst?“ zumindest für ihren Zustand in der Gegenwart auf eine überzeugende Art und Weise zu beantworten. Mit subtilen Mitteln ist er in der Lage, auszudrücken, was sie ist, was sie aussagt und wie viel Geld aus ihr entspringt. Am Ende seiner Dokumentation fragt sich der Zuschauer: Was ist Realität, was ist Konstruktion? Damit wird er unbewusst zur Frage geführt: Was ist Abbildung, was ist Nachbildung?

Nachbildung ist der grandiose Aufstieg des obsessiven Videokünstlers Thierry Guetta, mit dessen Karrierenkarikatur Banksy die Mechanismen des Marktes entlarvt. Über die fast manisch anmutende und zu Beginn von den Gefilmten mit vielerlei Skepsis aufgenommene filmische Begleitung von Street-Art-Künstlern wird Guetta die Berufung zur Kunst geradezu aufgezwungen. Weil er als Dokumentarfilmer scheitert, folgt er dem Rat des großen Meisters und versucht sich als Künstler. Als einer in künstlerischer Pubertät gefangener Gernegroß mit dem Namen „Mr. Brainwash“ tapst er in der Kunstszene von einem Fettnapf in den nächsten und findet schließlich unfassbarer Weise mit nahezu brillanter Selbstüberschätzung zum (vermeintlichen) Erfolg. Zum Ende des Filmes resümiert Banksy, dass Warhol die Ikonen der Popkultur in die seichten Gewässer der Bedeutungslosigkeit getrieben hat. Doch Guetta hat sie ertränkt.

Was sind die wesentlichen Aussagen dieses Filmes? Was sind die wichtigsten Kritikpunkte der Street-Art-Ikone?

Künstler haben eine Idee, bis sie berühmt werden

Gerade die Street-Art-Kunst, die zu Beginn ihrer Entwicklung nur im öffentlichen Raum zu sehen war, hat oft einen gesellschaftspolitischen, fast demokratischen Impetus. Die Künstler wollen auf etwas aufmerksam machen, sie wollen den zielstrebig agierenden, sich hastig durch die Stadt bewegenden und mit Scheuklappen ausgestatteten Homo postmodernensis zum Innehalten, zum Nachdenken anregen. Oftmals stellt sich Street-Art als eine Kritik gegen Konsumverhalten, Kapitalismus, das Diktum der Werbung sowie Öffentliche Ordnung dar und die Bewegung trägt zuweilen auch anarchistische Züge. Wenn diese Künstler berühmt werden, müssen sie sich gezwungener Maßen dem Markt anpassen und geraten in eine Art geistige Gefangenschaft, weil sie nicht mehr Kunst um der Kunst willen machen, sondern um ihren Agenten und die Sammler zu befriedigen.

Aber: Kunst muss frei sein

Auch bei dieser Maxime zeigt sich die Street-Art als idealistisches Exampel. Jeder Street-Art-Künstler hat die Freiheit, sein Werk zu zeigen, wo, wann und wie oft er will. Er kann es übermalen, er kann es wieder entfernen, er kann es ausbreiten und ergänzen. Sobald sein Werk aber in die Mühlen des Marktes gerät, muss er sich dem Diktum dieser Mechanismen anpassen. Galeristen, Sammler und die Fachpresse beurteilen das Werk, geben ihm einen Wert und drängen den Künstler damit in eine Nische, die er auszufüllen hat. Tut er das nicht, hat der nächste schon die Klinke in der Hand. Kunst entsteht durch individuelle Freiheit und mit Selbstbestimmung muss sie auch fortgeführt werden.

Kunst wird von anderen groß gemacht – Künstler haben kaum Einfluss darauf

Es gibt Künstler, die werden erst posthum berühmt. Ein schönes Beispiel bietet der Kunstgeschichtler und Journalist Stefan Koldehoff, der in seinem Buch „Van Gogh – Mythos und Wirklichkeit“ beschreibt, wie dieser nach seinem Tod berühmt wurde. Einige Zeit nachdem van Gogh gestorben war, benutzte der zu dieser Zeit Ton angebende Kunstkritiker Julius Meier-Graefe das Werk van Goghs, um Propaganda für den Jugendstil zu machen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Der niederländische Post-Impressionist geriet zwischen die Mühlen der Mode und wurde für Dekorationszwecke entfremdet. Daraufhin wurde van Gogh zum „Christus der Moderne“ proklamiert und erhielt den Stempel eines Künstlers, der nur durch die Kunst die Balance zwischen Genie und Wahnsinn halten kann. In Banksy’s Dokumentation erhält der fiktive Künstler Thierry Guetta nur deshalb Gehör, weil ihm der Engländer und andere Street-Art-Künstler Hilfe anbieten, die der Franzose in einer an Megalomanie grenzenden Weise ausnutzt. Guettas Aufstieg im Fast-Forward-Modus führt direkt in den Abstieg. Im Film wird dieses Scheitern durch das Einstürzen einer Wand, auf der der Titel von Guettas Ausstellung „Life is beautiful“ geschrieben war, symbolisiert.

Denn: Kunst muss reifen

„Kunst kommt von können“ heißt es im Volksmund. Dieses Können beinhaltet nicht nur das Handwerk, sondern auch Kreativität und die Fähigkeit, eine Botschaft zu implementieren. Die großartigste und bedeutendste Kunst besteht oft nur aus einer fast banalen Idee, verpackt in eine schlichte Form und doch explodiert sie in unserem Kopf und blutet dort langsam aus, rinnt in jede einzelne Windung unseres Hirns und inspiriert uns in unterschiedlichster Weise. Ein außergewöhnliches Kunstwerk bleibt für immer in unserem Kopf. Kunst braucht Freiheit und Geist, weniger Bildung. Denn ein theoretisch überfrachteter Künstler verfängt sich schnell im Koordinatensystem von Daten, Fakten, Epochen- und Stilzuordnungen. Eine oft verwendete Definition von Kunst lautet: „Kunst ist die schöpferische Tätigkeit der Natur im Menschen“. Die Kunst kommt aus dem Menschen. Seit Beuys wissen wir, dass jeder Mensch ein Künstler ist, doch nur bei den wenigsten finden sich die verschiedenen Voraussetzungen, dem inneren Gefühl den entsprechenden Ausdruck zu verleihen, gleichzeitig zusammen, wie zum Beispiel emotionaler Reichtum, die Fähigkeit, sich inspirieren zu lassen, Fantasie, Muße und eben auch Erfahrung. Diese umfasst nicht nur einfach Lebensbekanntschaft, sondern auch die Erkenntnis des Scheiterns und Leidens. Oder wie Beuys das formuliert hat: Zeige Deine Wunde!

Der Künstler steht nicht mehr hinter, sondern vor dem Werk

Die Anonymität der meisten Street-Art-Künstler und die öffentliche Präsentation ihrer Werke im Stadtbild verweisen darauf, dass das Kunstwerk seit den Anfängen schöpferischen Daseins im Vordergrund stand – und der Künstler dahinter. Dies hat sich in Zeiten des Personenkultes an allen Fronten, ob im Sport oder in den Medien, verändert. Die Postmoderne, die seit etwa Ende der 1970er Jahre als Kunstepoche der Gegenwart definiert wird, unterstützt diesen Kult. Unter diesem Epochenbegriff lässt sich längst kein einheitlicher Stil mehr vereinen, wie dies vor etwa 100 Jahren noch der Fall war. Metaebenen wie Mythos oder Religion greifen nicht mehr. Die Sektoralisierung des gesellschaftlichen Lebens, die Segmentierung in Teilsysteme, die in unterschiedlicher Art und Weise miteinander interagieren und die sich daraus ergebende fortschreitende Individualisierung zerstückeln die Welt. Daraus folgend zerfällt auch die Kunst in eine nicht mehr zu überblickende Vielzahl von Strömungen und Stilen, die in Collagen oft auch wieder zusammen finden. Das Werk definiert sich nicht mehr über seine Zugehörigkeit zu einem das gesellschaftliche Leben widerspiegelndem Stil, sondern über seinen Künstler. Die Namen von Künstler-Superstars wie Baselitz, Hirst oder Nauman kennt heute fast jeder, doch die dazugehörigen Werke fallen schon wenigeren ein. Picasso oder Warhol dagegen sind noch direkt mit kubistisch fragmentierten Frauengesichtern oder Campbell’s Suppendose verknüpft – ungeachtet ihres extrovertierten Wesens.

So macht Banksy’s Dokumentation trotz der Aufdeckung der Marktmechanismen, die die Kunst ad absurdum führen und idealistische Kunstauffassungen kalt abduschen, Mut: Denn dieser Film ruft heraus: Jeder Mensch ist ein Künstler, solange er sich bewusst durch den Raum bewegt und beobachtet (Hans-Peter Feldmann). Die unglaubliche Resonanz auf Thomas Baumgärtels Banane beispielsweise zeigt die Kraft, die ein einzelnes, alltägliches Symbol haben kann. Da war in der Presse von der „größten dadaistischen Aktion der Kunstgeschichte“ die Rede, von einer „Integrationsfrucht“, von einem „Wegweiser zur Moderne“, „kryptografischen Zeichen für Entdeckungen“, denn „alles ist bananisch“. Nirgends lässt sich eine Botschaft besser darstellen als im öffentlichen Raum. Street-Art-Kunst ist gestaltete Demokratie.

Demonstrationen waren gestern, heute ist Kunst.