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Der Therapeut der Kunst: Bruce Nauman

10.08.2010

Der amerikanische Konzeptkünstler Bruce Nauman lädt mit seiner Werkserie „Dream Passage“ den Besucher zu einer therapeutischen Sitzung ein.

Der Hamburger Bahnhof präsentiert seit Ende Mai und noch bis zum 10. Oktober 2010 erstmals seit 1984 die Werkserie „Dream Passage“ des 1941 geborenen amerikanischen Konzeptkünstlers Bruce Nauman. Der Ausstellungstitel macht auf zwei Dinge aufmerksam. Der Fokus des Themas liegt einerseits nicht auf der Darstellung von Realität und beschreibt zweitens einen Übergangszustand. Traum kann gleichermaßen als Illusion als auch Wunschvorstellung interpretiert werden. Das Wort Passage steht für eine Literaturstelle, bedeutet aber auch Durchfahrt oder Übergang.

Nauman fragt den Besucher: Wer bist Du?

Seit jeher beschäftigt sich Nauman mit der Wahrnehmung des Menschen und versucht, seine Rezipienten zu irritieren, um ihre Erwartungen zu durchbrechen. Er ist ein Türöffner in eine fremde Welt der Selbsterforschung. Nauman hat ein Faible für das „Unvorhersehbare“ und erhofft sich von seiner Kunst „etwas Direktes und Befremdliches“, wie er in einem der raren Interviews, hier mit der ZEIT im Jahr 2004, erzählt. Nauman beschreibt in diesem Interview auch die psychischen Komponenten seiner Kunst, die immer sehr persönlich gestaltet ist. Er erläutert, dass insbesondere die Werke, die aus einer „Sprachlosigkeit“ heraus entstehen, die wichtigsten sind, weil sie die Antwort auf die Frage aller Fragen kurz aufleuchten lassen: Wer bin ich?

In seiner Ausstellung stellt der Künstler als erstes klar: „The true artist helps the world by revealing mystic truths” – die Aufgabe der Kunst besteht darin, mystische Wahrheit zu enthüllen. Und er interessiert sich hier ganz besonders für die eigene, innere und vor allem ganze Wahrheit (und kritisiert die halbe Wahrheit mit seinem Werk „Partial Truth“, 1997). Nauman konfrontiert sein Publikum mit der Suche nach der eigenen Wirklichkeit. Die Objekte bieten die Möglichkeit zur Selbsterfahrung, zur Reflexion, zum Perspektivenwechsel. Jedes Kunstwerk bietet die Gelegenheit, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die auf den ersten Blick irritieren und in einem anderen Kontext automatisch zur Abkehr führen könnten. Doch die Neugier der anderen Besucher sowie die Energie, die von solchen Ausstellungen, in denen das Publikum mit einbezogen wird, ausgeht, treibt das Individuum auf eine Art Spiegel zu.

Klaustrophische Situationen

Sein für die documenta 5 gebauter „Kassel Corridor: Elliptical Space“ (1972) drängt den Besucher in einen lindgrünen Korridor und somit in eine klaustrophische Situation. Der Korridor ist zwar an den Seiten offen, verengt sich aber zu den Enden hin. Jeder Besucher darf sich für maximal eine Stunde darin aufhalten und seine individuelle Erfahrung mit der Begrenzung machen. Eines von Naumans persönlichen Themen ist die Frage nach der Unfähigkeit zur Entwicklung und Veränderung. Er beschreibt dieses Versagen als ein Gefühl, sich selbst nicht entfliehen zu können. Diesem Bild des in Stein gegossenen Lebens, das sich nicht sprengen lässt, entspricht sein Objekt „Concrete Tape Recorder Piece“ (1968). Ein Kassettenrekorder ist in Beton gegossen worden und nur ein Kabel mit Stecker sowie der Titel des Kunstwerkes weisen noch auf den ursprünglichen Gegenstand hin. Dieses Objekt könnte aber auch eine Kritik der Ende der 1960er Jahre aufsteigenden Popkultur sein, die durch die Undurchdringlichkeit des Beton eingedämmt wird.

Geh aus meinem Kopf

Eine weitere bemerkenswerte, vielschichtige Idee im Keller des Seitenflügels ist die Installation „Get out of my mind, get out of my room“. Nauman erregt die Aufmerksamkeit des Besuchers durch ein leises Flüstern, das aus dem Keller dringt. Der von Natur aus neugierige Mensch steigt die Stufen hinab und begibt sich in einen weiß getünchten, leeren Raum und die Stimme wird lauter und lauter, bis sie schließlich fleht: „Geh aus meinem Kopf, geh aus meinem Raum“. Der reflektierende Besucher kann sich nun mit der Frage auseinander setzen, wofür „mind“ und „room“ stehen. Ist das Flehen die Bitte, aus den Gedanken des anderen zu verschwinden, die Ideen des anderen nicht zu beeinflussen, das individuelle Geistesgut nicht zu verfremden, den persönlichen Raum zum Schutz der eigenen Identität zu verlassen oder einfach nur, allein sein zu wollen? Steht das lockende Flüstern der Stimme nicht im Widerspruch zur daran anschließenden Aufforderung, wieder zu gehen? Ist diese Installation vielleicht eine Metapher für die Heilsversprechen des Konsums, die langfristig uneingelöst bleiben? Die Ausstellung kann diese Fragen nicht beantworten und auch Nauman würde eine Antwort schuldig bleiben. Der Besucher allein weiß die Antwort, wenn er sich mit philosophischen und existenziellen Fragen hinter der Kunst beschäftigen möchte. Im Interview mit der ZEIT sagt Nauman über die Kunst: „Im besten Falle verleiht sie uns eine Art Energie“. Und genau diese Energie treibt den Rezipienten auf zu neuen Gedankenbildern, Reflexionen und Selbstbefragungen. Nauman ist der Therapeut unter den Künstlern, der die Besucher in Situationen drängt, in denen sie mit sich selbst und ihren inneren Zwängen und Wünschen konfrontiert werden.