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Eigensinn als Weg zur Kreativität

07.03.2011

Kreativität ist die wichtigste Ressource in der Wissenskultur unseres Jahrhunderts. Jeder Mensch ist ein Schöpfer. Aber: Wie kommt der Mensch zur Idee?

Vielschichtige Herausforderungen prägen das gegenwärtige Leben. Der Wandel hin zu einer Wissenskultur fordert ein hohes Maß an Innovationsfähigkeit. Im Beruf stehen die Zeichen auf Flexibilität und Mobilität. Die durch eine immer stärkere Verzahnung einzelner Bereiche hervorgerufene Komplexität bedarf eines Koordinationsvermögens. Dies verlangt wiederum Konzentration sowie die Fähigkeit zur Verdichtung. Die technische Revolution, allem voran die kontinuierliche Entwicklung des Web, erhöht die Arbeitsgeschwindigkeit beständig und verkürzt kontinuierlich die Lebenszeit von Produkten und Ideen.

Wir leben in einer Beschleunigungsgesellschaft (Hartmut Rosa). Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auf ein hohes Maß an Organisation angewiesen. Dies gilt vor allem in einer Zeit von familiären Patchwork-Modellen. Unter dem Druck dieser mannigfaltigen Anforderungen bleibt die Kreativität oft auf der Strecke. Zeitdruck und das starre Korsett eines durchorganisierten Lebens sind ihre ärgsten Feinde. Die technischen Entwicklungen, denen wir nicht mehr entkommen können, drängen sich auf unserer Lebensbühne in den Vordergrund und nehmen inzwischen in rasender Geschwindigkeit zu. Die Evolution ist zu langsam, um sich an diese Umstände mit neuen Fähigkeiten anzupassen.

Anpassung als Orientierungsstrategie

Viele Menschen entscheiden sich aus rationalen Gründen für den Weg der Anpassung, um sich in dieser komplexen Zeit zurechtzufinden. Eine Ratgeberflut auf dem Büchermarkt bietet eine Vielzahl von Lebensmodellen, an denen sich viele orientieren. Medien propagieren das Bild des perfekten Arbeitnehmers, der vollendeten Familie, der vollkommenen Frau sowie des mustergültigen Mannes. Die Übernahme dieser Modelle entspricht einem Geländer, an dem man sich festhalten und durchs Leben hangeln kann. Andererseits schnürt sie aber auch ein, verengt den Blick und schwächt die Kreativität. Das starre Festhalten an vorgefertigten Mustern untergräbt die Möglichkeit, eine individuelle Persönlichkeit zu entwickeln, die sich durch das Trial-and-Error-Prinzip generiert. Für Fehler bleibt heutzutage keine Zeit. Das Beschreiten vorgetretener Pfade geht oft mit dem Bedürfnis einher, es anderen recht machen zu wollen.

Wer bin ich und was will ich?

Das Wissen, wer man ist und was man will, ist jedoch eine wichtige Ausgangsposition für gedankliche Beweglichkeit und Offenheit – Voraussetzungen für das Vorstellungsvermögen. Kreativität lebt von der Kraft der Imagination, die sich nur in Momenten der Muße entwickeln kann. Kreativität braucht ein Reservoir aus vielseitigen Erfahrungen, Ausdrucksfähigkeit und eine möglichst breite Palette von Wissen – Kenntnisse, die sich nur auf der Basis jahrelanger Neugier und vielseitigem Ausprobieren verschiedener Lebensweisen entwickeln können. Der ideale Nährboden für Einfallsreichtum und Schöpferkraft ist die Balance zwischen einem ausgeprägten Realismus, also einer gewissen Bodenständigkeit und der Fähigkeit zu geistigen Höhenflügen. Anpassung schwächt unseren Eigensinn.

In den eigenen Träumen leben

Hermann Hesse hat sich mit dem Eigensinn intensiv beschäftigt und schreibt dazu: „Gegen die Infamitäten des Lebens sind die besten Waffen: Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spaß und die Geduld gibt Ruhe“ und „Ich lebe in meinen Träumen. Die anderen Leute leben auch in ihren Träumen, aber nicht in ihren eigenen, das ist der Unterschied.“ Mut ist eine nicht zu unterschätzende Tugend und beinhaltet die Courage, nicht wegzuschauen. Es ist die Unerschrockenheit, sich den alltäglichen Herausforderungen zu stellen, ohne sich zu verbiegen. Es ist die Entschlossenheit, aufmerksam und konsequent zur Tat zu schreiten, um die eigenen Träume zu verwirklichen.

Eigensinn hilft, weil es vor den (schlechten) Einflüssen Anderer schützt. Eigensinn höhlt das Bedürfnis, es anderen recht machen zu wollen, aus. Eigensinn fördert das Gute, vor allem für einen selbst. Eigensinn begünstigt das persönliche Glück. Anpassung beeinträchtigt es. Innovation fördernde Kreativität entsteht aus Fantasie, der Fähigkeit zur Muße, Lebendigkeit, Erfahrung, Neugier – und Eigensinn. Ein eigener Wille ist nicht nur eine der wesentlichen Voraussetzungen für Ideenreichtum. Er macht auch noch Spaß und ist gesünder, wie Psychologen herausgefunden haben. Denn das Bedürfnis, den Ansprüchen anderer zu genügen, entzieht dem Menschen Energie – Kraft, die er besser investieren kann: in neue Ideen und gigantische „Luftschlösser“.