22.02.2011
„Keep mixing things up“ ist das Motto von Isa Genzken, deren Installationen die Gegenwart wie kaum ein anderes zeitgenössisches Werk widerspiegeln.
Isa Genzken studiert im Nachhall der Studentenrevolutionen in Hamburg Malerei sowie Fotografie und Grafik in Berlin und Düsseldorf. Über die Düsseldorfer Kunstakademie kommt sie mit Joseph Beuys, Bruce Nauman und Wolfgang Tillmans in Kontakt. Auf die Wahl der Deutschen zur wichtigsten Künstlerin der Gegenwart im Jahr 2007 regiert die Presse (der SPIEGEL) mit der ironischen Überschrift „Waaas, diiie als Nummer eins!?“. Verständlich: Isa Genzken ist dem breiten Publikum kaum bekannt. Aber die Auszeichnung ist der Schlusspunkt eines äußerst erfolgreichen Jahres. Nicolas Schafhausen, Kurator des deutschen Pavillons der Biennale in Venedig 2007 erzählt in einem Interview, dass „er nicht lange habe überlegen müssen“, wem er die Aufgabe, den Pavillon zu bespielen, übertragen möchte: der „großartigen Bildhauerin“, die, wie der SPIEGEL schreibt „ein sich immer wieder selbst erneuerndes bildhauerisches Œuvre entwickelt“ hat und die „gnadenlos modernes Kopfkino“ betreibt.
Öffnung und Grenze: Das Werk der Künstlerin
Auf den ersten Blick ist das Werk der Künstlerin schwer zugänglich. Ihre Scheu gegenüber Interviews und Erläuterungen ihres Werks macht die Angelegenheit nicht einfacher. Isa Genzkens Arbeitsweise ist spontan. Sie arbeitet ohne Plan, ohne Struktur, ohne Notizen oder Skizzen. Sie macht Kunst für sich allein. Es geht darum, etwas zu sehen, „was man noch nicht gesehen hat“. Die einzige Faktizität des Werkes ist seine Komplexität. Genzken experimentiert mit Skulptur, Fotografie und Architektur, vermischt die Gattungen. Einige Dinge ziehen sich jedoch wie ein roter Faden durch ihr Werk. Da ist das Ohr, als ein Organ, das weit geöffnet ist und der Orientierung dient. Da ist die Architektur, einerseits mit glatten Oberflächen, als Reflektor der Umgebung – andererseits die Baukunst als Utopie („Fuck the Bauhaus“). Da ist die Überdimensionalität des Werkes, die nur im Museum Raum findet. Und da ist das Fenster, der Ausblick, denn: „Jeder Mensch braucht mindestens ein Fenster“, wie ihr wohl meistzitiertes Wort sowie die gleichnamige Werkserie von 1990 lauten. Es ist der häufig brachiale Verweis auf Grenzen. Ihr geht um die Erkenntnis, die dieser Konfrontation entspringt, um eine frische Wahrnehmung oder eine ungewöhnliche Perspektive, die auch Kern des Nauman’schen Werkes ist. Billigzeug, Ramsch könnte man sagen, ist ihr Rohmaterial. Der Kunsthistoriker Michael Krajewski zählt es auf: „Barbiepuppen, Glitzerfolie, kitschiges Material, das man in Heimwerker-Märkten kaufen konnte, das hat sie alles zusammengeklebt und bunt bemalt“.
Kunst und das Wesen der Freundschaft
In einem der raren öffentlichen Gespräche trifft sie 2008 auf den Fotografen Wolfgang Tillmans und philosophiert mit ihm über ihr Werk und die Kunst an sich. In der Kunst geht es ihr primär um den Zustand des Inneren, weil das Äußere erklärbar, sichtbar, ist. Das, was uns im Inneren beschäftigt – zermürbt oder euphorisiert – das ist selten anschaulich darstellbar. Ein Großteil ihres Werks verwirklicht einen solchen inneren Zustand und ist vielleicht deshalb auf den ersten Blick so verstörend, manchmal sogar belanglos scheinend. Manchen Menschen bleibt das eigene und fremde Innere verschlossen. Genzken glaubt, dass es in der heutigen Zeit wenig gibt, auf das man sich verlassen kann, nach dem man sich richten kann. Da ist nur ein aufkeimendes, unweltliches Gefühl während des Schaffensprozesses. Sie sucht nach einer neuen Reaktion auf das bereits Gewusste, das bereits Vorhandene. Sie beklagt die Theorielastigkeit vieler Künstler. Diese orientieren sich ihr Künstlerleben lang an diesem Konstrukt und weichen niemals davon ab. Das ist nichts, was sie will. Sie will Routine unterbrechen, um neue Einsichten zu gewinnen. Sie geht mit Tillmanns Vorstellung mit, dass sich dieser Zustand wie Verlust anfühlt, obwohl es ein Fortschritt ist. Kunst ist ein Bild des Menschlichen. Die unsichtbare Verbindung, die ein ergreifendes Werk zu einem Individuum erschafft, entspricht dem Wesen der Freundschaft: Das Werk versteht uns und wir verstehen das Werk. Ihr Fazit: Der Künstler versucht, die Vielgestaltigkeit des eigenen Inneren zu visualisieren – nur darum geht es.
„Sesam öffne Dich“ – eine Retrospektive im Museum Ludwig Köln
2009 findet im Museum Ludwig in Köln die erste große Einzelausstellung Genzkens unter dem Titel „Sesam öffne Dich“ statt. Sie nimmt die „außergewöhnliche“ und „maßgebende“ Bedeutung der Künstlerin in den Fokus. Es werden sowohl die Holzskulpturen der 1970er Jahre als auch die zerbrechlichen Rauminstallationen der Gegenwart gezeigt. Sie verdeutlichen die Suchbewegungen Genzkens zwischen „Armut und Brutalität“. Mit Assemblagen von Konsumartikeln, Alltagsgegenständen und bedeutungsschwangeren Objekten verankert sie sich immer auch in einem gesellschaftspolitischen und ökonomischen Rahmen. Sie nimmt die labilen, irritierenden und widersprüchlichen Seiten unseres Daseins in den Blick. Isa Genzkens Werk ist ebenso beunruhigend, gegensätzlich und auf den ersten Blick undurchschaubar, wie es die Gegenwart ist: intermedial, knallbunt, multiresponsiv und manchmal etwas anarchistisch. Eben offen für alles.