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Der Mörder der Kunst: Joan Miró

13.12.2010

Joan Miró gehört neben Pablo Picasso zu den bedeutendsten spanischen Künstlern des 20. Jahrhunderts und befürwortet dennoch den Mord an der Malerei.

Pablo Picasso hat Joan Miró mit den Worten geadelt: „Nach mir bist du es, der neue Türen öffnet“. Und auch wenn Mirós Werk nicht ganz so ausschweifend ist wie das des zwölf Jahre älteren Picasso, zeigt es sich doch qualitativ wie quantitativ als wichtiger Meilenstein der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Miró ist einerseits ein ganzheitlicher Künstler, der – dem Dadaismus und Surrealismus verhaftet – Maler, Grafiker, Bildhauer, Keramiker und noch vieles mehr ist. Zusätzlich widmet er sich auch thematisch dem Ganzheitlichen und symbolisiert mit seinen Hauptmotiven wie Mond, Sternen, Vögeln, Augen und Frauen die Gestirne, den Kosmos, die Vogelperspektive auf die Welt sowie die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Das Credo seines Schaffens stellt sich in einem Zitat von ihm dar: „Eines geht ins andere über. Alles bildet eine Einheit. Es gibt keine Domäne, die verschieden ist von anderen. Alles ist miteinander verkettet“.

Die frühen Jahre des Joan Miró

Der Universalkünstler Miró wird 1893 in Barcelona geboren und die Kunst scheint ihm in die Wiege gelegt. Sein Vater ist Goldschmied und Uhrmacher, sein Großvater Kunsttischler. Schon früh, mit etwa acht Jahren, beginnt der schweigsame und verträumte Joan mit dem Zeichnen, gewinnt damit aber nicht die Anerkennung des Vaters, der aus dem Sohn lieber etwas Ordentliches gemacht sehen will. Und so beginnt er eine kaufmännische Lehre, nimmt aber parallel dazu Kunstunterricht. Nur kurze Zeit später liegt das Glück im Unglück. Nach schwerer Krankheit kann er den Widerstand des Vaters überwinden und besucht ab 1912 die private Kunstschule „Escola d’Art“. Drei Jahre später kann er schon sein eigenes Atelier einrichten und reüssiert 1918 mit Landschaftsgemälden und Stillleben in seiner ersten Einzelausstellung im heimischen Barcelona. Von wenig Erfolg gekrönt bleibt allerdings seine Kunstgruppe „Courbet“, die nach Progressivität strebt. Auch die ersten Einzelausstellung in Paris (1921) bleibt erfolglos.

Miró in illustrer Runde

Die Vielgestaltigkeit des spanischen Künstlers liegt vermutlich in seinem intensiven Austausch mit anderen Künstlern verortet. Miró kennt Miller und Hemingway, er wird passives Mitglied einer Surrealistengruppe um Aragon und Breton. Seit 1927 ist er mit seinem Atelier am Montmatre in illustrer Gesellschaft und trifft auf Hans Arp, Max Ernst, René Magritte oder Dalí und Giacometti. Ab Beginn der 1930er wird er vom Kunsthändler Pierre Matisse in New York vertreten und wird schon 1936 innerhalb eines Jahres in Paris („Exposition surréalist d’objects“ mit Picasso, Giacometti, Dalí u.a.), in New York (MoMA) und in London (New Burlington Galleries) gezeigt. Ein Jahr später stellt er im spanischen Pavillon auf der Weltausstellung aus. Zahlreiche Ausstellungen und Arbeiten folgen.

Der Höhepunkt seines Schaffens

Mitte der 1950er Jahre erfüllt sich Miró einen langersehnten Traum von Wohnhaus, Werkstatt und Atelier und nimmt seinen festen Wohnsitz auf Mallorca ein. Mit 63 Jahren ist Miró auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens und arbeitet von nun an hauptsächlich an Skulpturen. Schon 1959 erhält er eine große Retrospektive im MoMA, zwei Jahre später erscheint die vom französischen Dichter und Kunstkritiker Jacques Dupin verfasste Biographie. Dupin betont in seinem Buch den „Nahkampf zwischen dem Künstler und der konkreten Formgebung“ und weist daraufhin, dass das Experiment in der Kunst nur gelingen kann, wenn man sich in konkreten Theorien verortet.

Als Miró Weihnachten 1983 in Palma de Mallorca stirbt, kann die Kunstwelt auf eine beeindruckende Hinterlassenschaft zurückblicken. Der Mann, der 1930 die konventionell-traditionsbewusste Malerei ersticken und überwinden will („Die Surrealisten haben, wie man weiß, den Tod der Malerei verordnet. Ich will den Mord.“), stellt diesem Wunsch ein opulentes wie exzentrisches Werk entgegen: Schätzungen belaufen sich auf 2.000 Ölgemälde, 500 Skulpturen, 400 Keramiken und etwa 5.000 Collagen und Zeichnungen, dazu etwa 3.500 Lithografien und Radierungen.

Eine Reise durch das Werk Mirós

Dieses Werk ist zu Beginn des Jahrhunderts noch expressionistisch geprägt. Die Stillleben und bäuerlichen Sujets weisen eine eingeschränkte Farbpalette auf. Zum Ende der 1910er Jahre hin werden die Bilder farbenprächtiger und auch detailreicher. Vielleicht ist es die Präzision des Uhrmachers, die bei Miró Spuren hinterlässt und seine Bilder ornamenthaft und detailversessen wirken lässt. Im folgenden Jahrzehnt nimmt der Detailreichtum weiter zu und die Bilder erhalten kubistische Züge. Ab Mitte der 1920er Jahre zeigt sich der surrealistische Einfluss, dem der Künstler unterliegt. Es sind Darstellungen von psychischen Zuständen, das Auswerfen des Verborgenen und Magischen, die eine Spannung erzeugen. Miró kreiert fantastische Bilderwelten und bildhaft gewordene Traumwelten, die ganzheitliche Themen wie z.B. „Mutterschaft“ darstellen. Ab den 1930er Jahren werden die Formen klarer, die Bilder wirken nicht mehr so verspielt. Die Bilder tragen oft lakonische Titel, wie beispielsweise „Malerei“. Zum Ende der 1930er Jahre werden die Bilder gleichermaßen wütend wie auch poetisch. Sie sind nicht von Rationalität und Klarheit bestimmt, sondern bringen die innere Gewaltigkeit seiner Gefühle zum Ausdruck. Ab den 1940er Jahren entstehen Konstellationen, deren Figuren und Elemente wie auf die Leinwand gesät wirken. Die Bilder sind ein Netz aus Linien und Zeichen und tragen oft philosophische Titel wie „Ein Tautropfen, der vom Flügel eines Vogels fällt, weckt die im Schatten eines Spinnennetzes schlummernde Rosalie auf“. In diese Zeit passt Mirós Zitat: „Mein Werk soll ein Gedicht sein, daß von einem Maler in Musik umgesetzt wird“. Die 1950er sind in erster Linie von Skulpturen geprägt und in den 1960ern findet Miró zu einem reduzierten Stil, der sich zum Beispiel in seinem Bild „Die rote Scheibe“ (1960) manifestiert.

Miró: Zwischen infantiler Einfalt und archaischer Kraft

Mirós Werk ist durch eine poetische Bildersprache gekennzeichnet, die zwischen infantiler Einfalt und Ahnungslosigkeit und einer symbolbeladenen, mitunter archaisch anmutenden, expressionistischen Kraft changiert. Vom Frühwerk an überlagern sich die gewonnenen Erkenntnisse und steigern sich von Jahr zu Jahr zu einer vielschichtigen Konstellation zwischen Lebensfreude, Zweideutigkeiten und Poesie auf der einen Seite sowie Träumereien, Verzweiflung und Angriffslust andererseits. Mirós Arbeiten bebildern die Zerrissenheit des zivilisierten Menschen zwischen dem natürlichen Verlangen nach Authentizität und der Erforschung des Mystischen sowie der Unfähigkeit, innerhalb der konventionellen Bahnen, diesem Wunsch nachgeben zu können.

Quellen: Hans Platschek (2001): Joan Miró. Rowohlt: Hamburg; Walter Erben (2008): Joan Miró. Taschen Verlag: Köln.