web analytics

— Hide menu

Durch Abdecken aufdecken: der Konzeptkünstler John Baldessari

17.02.2011

John Baldessari, der in diesem Juni 80 Jahre alt wird, gehört nicht nur zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart, er ist auch der Intellektuelle unter ihnen.

1931 in Kalifornien geboren, ist John Baldessari Teil der älteren Generation derjenigen, die 2007 von MONOPOL zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern gewählt wurden. Der Amerikaner ist der Sonne Kaliforniens bis auf kleine Abstecher treu geblieben. Vielleicht ist das der Grund für die plakative, grelle Farbgebung seines Spätwerks. Die Basis seines fundierten kunsttheoretischen Wissens erhält er in den Fünfzigern an verschiedenen Universitäten der Westküste. Zusätzlich wird ihm dreimal die Doktorwürde zuerkannt. Seine Fähigkeit, die Funktion und Ausdruckskraft der Kunst auf ein Minimum herunter zu brechen, wurzelt in dieser umfassenden Ausbildung. Weniger ist mehr. Baldessari hat zudem als Professor gelehrt. Diese Aufgabe setzt er in Analogie zur Kunst selbst. Als Lehrer kommuniziert er mit den Studierenden wie ein Bild mit dem Betrachter und entzündet ein Licht der Erkenntnis. Baldessari ist vielfach geehrt wurden. Allein 2009 erhält er den Goldenen Löwen der Biennale Venedig, den Preis „Künstler des Jahres“ der American Friends of the Tel Aviv Museum of Art sowie eine Ehrung während der New Museum Gala des New Museum of Contemporary Art (New York). Zudem ist er Autor von fast zwanzig Büchern, in erster Linie zum Thema Kunst.

Ein Blick auf das Werk John Baldessaris

Baldessari ist vor allem ein Konzept- und Medienkünstler, auch wenn er sich selbst nicht gern in Schubladen schiebt. Nach seiner Ausbildung beginnt er mit der Malerei. Auf einem Leinwandbild aus den 1970er Jahren wiederholt sich der Satz: „Ich will keine langweilige Kunst mehr machen“. Und wie sein Altersgenosse Gerhard Richter zieht Baldessari einen Schlussstrich unter sein Frühwerk und verbrennt 1970 in seinem Aufsehen erregenden „Cremation Project“ seine zwischen 1953 und 1966 entstandenen Malereien. Doch zurück zur Gegenwart: Seine Serie „Somewhere Between Almost Right and Not Quite (With Orange)“ von 2004 ist ein typisches Werk des Amerikaners: Grundlage seiner Arbeiten sind Fotos, Ausschnitte aus Zeitungen, Anzeigen oder auch Postkarten, die er überklebt, übermalt, neu arrangiert, collagiert und damit neue Bedeutungsperspektiven determiniert. Dies ist eine „Methode, die durch Verdecken aufdeckt“, wie es der Journalist Jens Kastner formuliert hat. So ersetzt er beispielsweise die durch Emotionen gekennzeichneten Gesichter von Menschen durch einen Farbklecks. Baldessari gibt dem Betrachter die Möglichkeit, das Bild in der eigenen Gefühlswelt zu verorten und dem Werk eine individuelle Bedeutung zu geben. Er hebt das Bild sozusagen aus dem Kontext heraus und lässt es vom Betrachter in den eigenen ideellen Kosmos einbetten. Eine ähnliche Herangehensweise gibt es auch in der Dichtung: in der Konkreten Poesie der 1950er Jahre. Seine Kompositionen und Collagen offerieren unterschiedliche Deutungsmuster, wie auch das Werk „Prima Face (Third State): From Aloof to Vapid“ (2005) zeigt. Dem Foto einer Frau sind unterschiedliche Begriffe zugeordnet, die ihrem Gesichtsausdruck entsprechen könnten. Baldessari will mit seiner Kunst zeigen, wie relativ eine von Gesellschaft oder Medien vorgenommene Zuschreibung sein kann.

Kunst hat eine gesellschaftliche Funktion

In einem Interview erzählt Baldessari von seinem Weg zur Kunst, der Botschaft dahinter und seinen Inspirationen. Baldessari konnte der Kunst anfangs nicht viel abgewinnen: „I always had this idea that doing art was just a masturbatory activity, and didn’t really help anybody“. Als er mit schwererziehbaren Jugendlichen arbeitet, kommt eines Tages eines der Kinder zu ihm und fragt, ob er den Kunstraum über Nacht öffnen könne; die Kinder wollen arbeiten. Für sie spielt Kunst in diesem Moment eine größere Rolle als für ihn selbst und er stellt fest: Kunst hat eine Funktion innerhalb der Gesellschaft. In seiner Frühphase ist es Baldessaris Mission gewesen, mit Tabus und No-Go’s zu brechen. So hat er beispielsweise angefangen, mit dem zu dieser Zeit noch nicht anerkannten Medium der Fotografie zu arbeiten. Später wurde die Sprache zum Werkzeug seiner Kunst. Nachdem sich Fotografie und Text in der Kunst etabliert haben, versucht der Künstler nun, die Medienwelt mit der Realität in Einklang zu bringen und experimentiert auf der formalen Ebene, indem er etwas tut, dass weder Foto noch Malerei ist. Seine wesentliche Frage ist: Warum ist manches Kunst und manches nicht? Baldessari würde sich niemals selbst kopieren oder Erfolge wiederholen, wie dies beispielsweise Warhol getan hat. Und wie viele andere Künstler ist auch er ein Sammler, der jahrelang Fotografien und Bilder zusammen getragen hat. Sie sind zu einem unerschöpflichen, in Kombinationen sich selbst potenzierendem, Fundus und zur Inspiration seiner Arbeit geworden.

Die Ratschläge eines alten Hasen

In einem Werk mit dem Titel „Tips for Artists Who Want to Sell“ (1966-68) gibt John Baldessari die Spur vor: Bilder in helleren Farben kommen besser an als solche in dunklen Tönen. Es gibt Themen, die sich besonders gut verkaufen: Madonna mit Kind, Landschaften, Blumen, Nackte, abstrakte und surrealistische Kunst. Zu guter Letzt ironisiert Baldessari die Ansprüche des Kunstmarkts, wenn er betont, dass es erfolgversprechender ist, Bullen und Hähne statt Kühe und Hennen darzustellen. In ähnlicher Manier verspottet er die Kunstwelt und ihre Mechanismen mit „Terms Most Useful in Describing Creative Work of Art“. Eine tabellenförmig angelegte Sammlung von Begriffen lässt dem Betrachter offen, Kunst mittels verschiedener Kombinationen dieser Wörter zu beschreiben. Der Dichter Eugen Gomringer hat mit der Charakterisierung der Konkreten Poesie das künstlerische Schaffen Baldessaris auf den Punkt gebracht: „nimmt vom bestand und teilt / nimmt vom bestand und formt / nimmt vom bestand sich selbst / gibt zum bestand sich selbst“.