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In der Sprache gefangen – Positionen von Mauthner bis Bachmann

29.09.2011

Sprache ist das wichtigste Instrument, um sich mitzuteilen. Doch sie kann auch zum Käfig werden. Vier Schriftsteller und ihr Verhältnis zur Sprache.

In seinen Tagebüchern konstatiert der österreichische Literat Robert Musil „Sobald wir sprechen, schließen sich Türen“ und ruft damit das Bild des Käfigs hervor. Er bezieht sich auf den belgischen Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck, der in seinem überraschend zeitgenössischen Werk „Der Schatz der Armen“ (1896) schreibt: „Sobald wir was aussprechen, entwerten wir es seltsam.“ Sprache soll in diesem Zusammenhang in Anlehnung an den amerikanischen Ethnologen und Linguisten Edward Sapir definiert werden als „eine ausschließlich den Menschen eigene, nicht im Instinkt wurzelnde Methode zur Übermittlung von Gedanken, Gefühlen und Wünschen mittels eines Systems von frei geschaffenen Symbolen“. Mit dem Begriff des Käfigs werden Eingesperrtsein, Beengung, Fremdheit, Zwang, Einschränkung sowie die allgemeine Unfähigkeit zur sprachlichen Darstellung und Artikulation assoziiert.

Fritz Mauthner: Der radikale Sprachverächter

Der 1849 in Böhmen geborene, deutschsprachige Philosoph und Schriftsteller Fritz Mauthner, der als radikaler Sprachverächter bezeichnet werden kann, be- und verurteilt Sprache als Ursprung ständiger Missdeutungen, die zu Isolation führen kann. Seine „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ (1906) stellen dar, inwieweit der Mensch in seiner Sprache gefangen ist. Der Sprechende ist von der Fremdbestimmung seiner Sprache abhängig und wird von ihr durch seine verbalen Äußerungen wie eine „Marionette“ gesteuert und gelenkt. Mauthner selbst versucht sich auf verschiedene Art und Weise als Dirigent der Worte. Als Dichter, Dramatiker, Kritiker, Schriftsteller, Philosoph und Publizist erprobt Mauthner vielseitige Spielarten, um seine Gedanken in Worte zu fassen. Seine Idealvorstellung ist die völlige Erlösung von der Sprache.

Robert Musil: Der ambivalente Grenzerfahrer

Der österreichische Schriftsteller und Theaterkritiker Robert Musil (geb. 1880 in Klagenfurt), der als ambivalenter Grenzerfahrer zwischen den Urteilen, dass Sprache gleichermaßen tötet wie auch das Überleben sichert, steht, hat sich u.a. in seinem ersten Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ (1906) der Thematik des Nicht-Sagbaren, Unerklärlichen gewidmet. Der Spannungsbereich zwischen dem Ratioiden, also dem begrifflich Feststellbaren und dem Nicht-Ratioiden, dem Bereich der Erlebnisse, die sich innerhalb der Seele abspielen, beschreibt die labyrinthische Sprachwelt, die zur Unfähigkeit führt, sich auszudrücken – der Protagonist Törleß ist in seiner Sprache gefangen. Allerdings findet auch Törleß irgendwann aus den verbalen Irrgängen heraus, deren Durchqueren einer Entwicklung gleichkommt. Am Ende des Romans heißt es dazu: „Eine Entwicklung war abgeschlossen. Die Seele hatte einen neuen Jahresring angesetzt wie ein junger Baum – dieses noch wortlose, überwältigende Gefühl entschuldigte alles, was geschehen war.“

Franz Kafka: Der eingesperrte Einzelgänger

Der hier thematisierte Autor, der sich am stärksten in der Sprache und ganz speziell im Schreiben gefangen sieht und auch selbst gefangen genommen hat, ist der 1883 in Prag geborene, ebenfalls deutschsprachige Schriftsteller Franz Kafka. Anhand der Beschäftigung mit Kafkas Tagebüchern sowie durch eine nähere Betrachtung seiner Erzählung „Ein Hungerkünstler“ zeigt sich, weshalb sich der Autor durch die Sprache gefesselt sieht und inwieweit jeder Versuch, sich aus dieser Gefangenschaft zu lösen, zu weiteren Verstrickungen führt. Diese Verwicklungen stellen sich in einem berühmten Zitat des jüdischen Schriftstellers dar: „Ich schreibe anders als ich rede, ich rede anders als ich denke, ich denke anders als ich denken soll und so geht es weiter bis ins tiefste Dunkel“. Kafka erzählt die Geschichte eines Hungerkünstlers, dessen Hungern ein Symbol für das Schreiben darstellt – ein Prozess, der einerseits (zumindest für Kafka) das Natürlichste der Welt darstellt, ihn andererseits aber auch unglaublich erschöpft. Der Hungerkünstler, der „noch niemals, nach keiner Hungerperiode […] freiwillig den Käfig verlassen“ hat, symbolisiert die Angst des Schriftstellers, den Käfig (das Schreiben) zu verlassen. Franz Kafka hat gleichermaßen Angst davor, seine Sprache zu verlieren als auch, ihr ausgeliefert zu sein.

Ingeborg Bachmann: Die kulturkritische Utopistin

Etwas außerhalb dieser Tradition von Autoren, die in der Wendezeit vom 19. zum 20. Jahrhundert tätig gewesen sind, steht Ingeborg Bachmann, 1926 in Klagenfurt geboren, mit ihren „Frankfurter Vorlesungen“. Bachmann möchte mit dem „errettenden“ Wort die „Satzgefängnisse“ aufsprengen. Sie hat einen Sprachtraum, den sie in den Vorlesungen als einen neuen, lebendigen, dynamischen Geist beschreibt, der Offenbarung und Authentizität impliziert und der von einer Innerlichkeit getragen sein soll.

Die Befreiung aus der verworrenen und erstarrten Sprache

Die Österreicherin sucht nach einer Befreiungsmöglichkeit aus der verworrenen und erstarrten Sprache, die sie als anonym, modisch und affektiert beschreibt; eine Sprache, die in Not gekommen ist. Und sie ruft auf zu einem Aus- und Aufbruch, hin zu einem Sprachtraum, weil jede vom Hauptweg abweichende Imagination, jeder Fort-Schritt, jede Entwicklung, jedes neue Fragment schon Teil des Ausdruckstraumes ist, der in ihren Augen zwar nicht zu realisieren ist, der Weg dorthin aber zu einer Lebendigkeit und Dynamisierung des Wortes führen kann. Die Utopie ist hier nicht die nie zu verwirklichende Idealvorstellung, sondern das Gelingen einer kleinen Zeile.

Literatur / Quellen: Frisé, Adolf (1983): Robert Musil. Tagebücher. Rowohlt; Lyons, John (1992): Die Sprache. C.H. Beck; Musil, Robert (1959): Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Rororo; Mauthner, Fritz (1901/02): Beiträge zu einer Kritik der Sprache. 3 Bände; Franz Kafka (1922): Ein Hungerkünstler; Bachmann, Ingeborg (1980): Frankfurter Vorlesungen. Probleme zeitgenössischer Dichtung. Piper; Studienbrief der FernUniversität Hagen: „Das Problem Sprache. Sprachkrise und Sprachkritik an der Wende zum 20. Jahrhundert“.