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Nan Goldin: „Berlin Work“ in der Berlinischen Galerie

08.02.2011

Themen der Amerikanerin sind Sex, Drogen und die Vergänglichkeit des Lebens. Fotografien aus der Zeit von 1984 und 2009 sind zurzeit in Berlin zu sehen.

Die Fotografin Nan Goldin wird 1953 in der Hauptstadt der USA geboren. Spätestens seitdem sie 1997 den Hasselblad Photography Award, eine der bedeutendsten Auszeichnungen in der Welt der Fotografie, gewonnen hat, gehört sie zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern in der Fotografie. So tragisch wie einige ihrer Bilder anmuten, so unbeständig verläuft auch ihr Leben. Nach dem Selbstmord der Schwester verlässt sie mit 14 Jahren ihr Elternhaus und erhält von da an in der Bostoner (wo sie an der School of the Museum of Fine Arts studiert) und später in der New Yorker Subkulturszene ein neues Zuhause – befreundet mit Drag Queens, Homosexuellen und Drogenabhängigen. Goldin lebt noch heute in New York. Seit den frühen 1980er Jahren ist die Künstlerin mehrfach nach Berlin gekommen, wo sie zwischen 1991 und 1994 mit einem DAAD-Stipendium auch dauerhaft gelebt hat. Ein Teil der ausgestellten Bilder stammt aus dieser Zeit. Bekannt wurde sie mit The Ballad of Sexual Dependency, einer aus etwa 700 Bildern bestehenden und mit Musik untermalten Diashow, die bis heute regelmäßig gezeigt und auch von der Künstlerin laufend verändert wird.

Goldins Bilder sind wie ein „visuelles Tagebuch“

Die Ausstellung „Berlin Work“ in der Berlinischen Galerie zeigt 70 Fotografien sowie zwei Fotomosaiks aus der Zeit von 1984 und 2009. Nan Goldin hat mit ihrem Werk vor allem ihr eigenes und das Leben von Freunden und Bekannten festgehalten. Und so sprechen die Bilder die Sprache dieses oft rauen Lebens. Einige wenige Partybilder, die 1984 aufgenommen wurden, erzählen von Freundschaft und vermitteln Aufgehobensein, sie drücken Gelöstheit und Freude aus. Ansonsten wirken die meisten Bilder in ihrem Ausdruck schonungslos und überraschend, die meisten Personen blicken ernst, sie schauen prüfend, sind vom Leben (von Alkohol, Drogen oder Aids) gezeichnet, sie wirken nachdenklich. Es sind Momentaufnahmen eines ganz normalen, einfachen Lebens – mit all seinen mitunter in den Absturz führenden Facetten.

Goldin ist der Spiegel ihrer Porträtierten

Der Titel einer Ausstellung der Fotografin im Whitney Museum (1996) lautet: „I’ll Be Your Mirror“ und so spiegeln die Bilder die Zerbrechlichkeit und Ratlosigkeit der Fotografierten wider. Nan Goldin will in ihre Seele vordringen. Es scheint, als seien die Menschen, wie bei Robert Mapplethorpe, das reine Objekt der Begierde. Goldin hat einmal gesagt, sie würde mit dem Fotografieren die Zeit anhalten wollen, sie glaube, sie könne nie jemanden vergessen, wenn sie ihn nur oft genug fotografiert habe. Bei Mapplethorpe hingegen steht dieser eine, festgehaltene Moment als Sinnbild für die Vergänglichkeit. Auch Goldin’s Fotografien von Kindern stellen eine Versunkenheit dar, ein konzentriertes im-Spiel-sein. In einem Interview mit dem Kunst- und Modemagazin sleek (Winterausgabe 2010/11) betont sie, wie wichtig ihr die von ihr porträtierten Menschen sind und wie elementar es ihr erscheint, alle Facetten ihres Verlorenseins darzustellen. Goldin fühlt sich verpflichtet, die gesamte Bandbreite des Lebens zu zeigen und nicht nur seine angenehmen Seiten. Ein Fotomosaik aus neun Bildern („Alf Bold“, 1991-94/95) erzählt die Geschichte eines HIV-Kranken, hält ihn im Krankenhaus fest, zeigt besuchende Freunde mit Blumen, einen sehnsüchtigen Blick des Patienten durchs Fenster und schließlich den verloren gegangenen Kampf gegen die Krankheit, der auf dem Friedhof endet. Die Fotografin interessiert sich für die Bedingungen und Stimmungen innerhalb der Gesellschaft und insbesondere der Subkultur, für die Verhältnisse zwischen den Menschen und den existenziellen Zustand des Individuums.

Die harte Realität und die Sehnsucht nach Wärme

Goldin fotografiert, so scheint es, weitgehend ohne artifizielle Beleuchtung und so leiden die Bilder mitunter an einer Unschärfe, als wollten sie das letzte Geheimnis ihrer Protagonisten nicht preisgeben. Andererseits sind die Farben durch den Mangel an künstlichem Licht warm und leuchtend und bilden einen Kontrast zur sie darstellenden kalten Realität. Im Widerspruch zur Wärme dieser Bilder stehen die 1991/92 fotografierten Spiegelporträts und Bilder in kalter Badatmosphäre, die jede Pore, jede innere Zerrissenheit ausleuchten. Nan Goldins Bilder haben in erster Linie dokumentarischen Charakter und wirken durch ihre Beiläufigkeit wie auch Konzentration auf das Objekt gleichermaßen so authentisch. Sie sind das Auffangen eines Augenblicks, das Festhalten eines Momentes im Leben von Menschen, die den Gegensatz zur polierten, nach Perfektion strebenden Bilderflut von Hochglanzmagazinen sichtbar machen und sie zugleich entlarven. Die Ausstellung ist ein Muss für jeden an zeitgenössischer Fotografie Interessierten und für jeden, der Anteil am Schicksal von Menschen sowie am wahren Leben nimmt oder wer in Gesichtern anderer Menschen gern nach Geschichten sucht.

Tipp: Nan Goldin (1987): Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit. Zweitausendeins: Frankfurt / Main.