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Der Ruf der Wildnis: Das Leben des Paul Gauguin

06.12.2010

Gauguins Credo lautet: Jeder Maler muss sich aus sich selbst heraus entwickeln. Bis zu dieser Entfaltung ist es allerdings ein langer, beschwerlicher Weg.

Paul Gauguin erblickt 1848 als Sohn eines Journalisten und einer spanisch-peruanischen Mutter in Paris das Licht der zivilisierten Welt. Vom Vater wird er einen unbeugsamen, starrsinnigen und kompromisslosen Charakter erben, der Mutter verdankt er den nie versiegenden Drang nach einem Leben im Einklang mit der Natur.

Gauguins Jugend in Peru und Orléans

Schon Gauguins Jugend ist bar jeder Gewöhnlichkeit und Bürgerlichkeit. Aus politischen Gründen muss der Vater 1851 Paris verlassen und die Familie siedelt nach Peru, aus der die Mutter stammt, über. Der Vater stirbt auf der langen Seereise. In Peru angekommen, avanciert Gauguins Mutter in kurzer Zeit zum strahlenden Zentrum der großen Familie. Doch das Leben in der Ferne ist nur von kurzer Dauer. Nach dem Tod des Schwiegervaters muss die kleine Familie (Paul hat noch eine Schwester) zurück nach Frankreich und lässt sich in Orléans nieder. Dort lebt er bis zur Volljährigkeit in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Gauguin spürt schon in diesem Alter den ihn regelrecht quälenden und nicht zu unterdrückenden Wunsch, die Weiten der Welt auf der Suche nach der Ursprünglichkeit zu erforschen, der ihn nie verlassen wird. Er entschließt sich, zur See zu fahren und tritt ein paar Jahre später in den Militärdienst ein. Als die Mutter stirbt, folgt er ihrem Wunsch und beginnt eine Banklehre. Er heiratet eine Dänin und die beiden bekommen einen Sohn, Pola.

Die Frühphase zwischen Broterwerb und Kunst

Etwa zu dieser Zeit beginnt Gauguin, inspiriert durch die Bilder eines Freundes, zu zeichnen. Anfangs ist es für ihn nur eine vergnügliche und befriedigende Möglichkeit der Zerstreuung, eine Privatangelegenheit. Er vertieft sich in die Grundlagen von Form und Gestaltung und beginnt, Ausstellungen zu besuchen. Seine Kunstauffassung orientiert sich an den „Fauves“, den Wilden. Als Gauguin 1876 ein Bild für eine Ausstellung einreicht und damit Erfolg hat, intensiviert er seine Kontakte zu anderen Künstlern und beschäftigt sich mit dem Impressionismus. Doch die Kunst neben der Arbeit in der Bank gerät nach und nach zu einem mühsamen Unterfangen. Der anfängliche Verve und die Energie, die ihn zum malen geradezu gedrängt hatten, gehen verloren. Trotz einer Beförderung in der Bank entschließt er sich nun, den Job aufzugeben und sich ganz der Malerei zu widmen.

Der Wunsch nach Rückzug aus der Großstadt in die Natur

Dennoch bleibt Gauguins Situation von Unzufriedenheit geprägt. Zunehmend fühlt er sich vom lauten, geschäftigen Großstadtleben beengt und bedrückt und er zieht mit seiner Familie nach Rouen. Weil er auch hier keine Ruhe findet, siedelt er mit seiner Familie nach Dänemark über. Wieder fühlt sich Gauguin unwohl und seine künstlerische Energie kommt ihm völlig abhanden. „Sein künstlerisches Gewissen war so gut und rein, daß alles, was zwischen ihm und dem Ziel stand, weichen mußte“, so Pola Gauguin. Gauguin kann nicht anders. Er bricht mit der Bürgerlichkeit, verlässt seine Familie und flieht zurück nach Paris. Sein Glauben an seine Berufung und sein Talent ist nicht zu erschüttern. Allerdings bleibt der Erfolg aus. Gauguin zieht weiter nach Pont Aven, in die Bretagne, um sich dort in Ruhe der Kunst zu widmen. Wenig später lernt er den niederländischen Maler Vincent van Gogh kennen. Die Beziehung zwischen beiden ist von Anfang an schwierig. Zwar inspirieren sich beide, doch die völlig voneinander verschiedenen Charaktere führen immer wieder zu Auseinandersetzungen. Während eines Streits gerät van Gogh derart in Rage, dass er sich das Ohr abschneidet.

Der Aufbruch in eine fremde Welt: Tahiti

Paul Gauguin ist nun fest entschlossen, die europäische Zivilisation hinter sich zu lassen. 1891 reist er nach Tahiti und ist kurz nach seiner Ankunft schockiert und enttäuscht: Das ursprüngliche Leben der Ureinwohner, das er sich schon lebhaft ausgemalt hat, ist bereits von der westlichen Zivilisation stark überformt und hat seinen Zauber verloren. So sagt er selbst: „Der Traum, der mich nach Tahiti geführt hatte, war von der Gegenwart grausam entschleiert worden“. Er bezieht eine Hütte, etwa 50 km von der Hauptstadt Papéete entfernt, und kommt den „Wilden“ langsam näher. Mit einem stark ausgeprägten Feingefühl, mit Interesse und Respekt versucht Gauguin, in die Welt der Tahitianer einzutauchen: ihre Geisterwelt zu verstehen, ihre religiösen Grundlagen aufzuspüren, in ihre Mythen einzudringen. Und von genau diesem Geist ist die Kunst Gauguins geprägt. Sie ist der bebilderte Traum von einer Verschmelzung von Mensch und Natur. Die Farben dieser Bilder strahlen klar, kräftig und rein, die Formen sind einfach. Gauguin malt das Meer, den Urwald, den Himmel und immer wieder die prächtigen Frauen, von deren Schönheit sowie freiem, unverbildetem Wesen er zutiefst beeindruckt ist. Sie werden zur Verkörperung der Verknüpfung von Kultur und Natur des Menschen.

Die Spätphase des Malers: Tahiti oder Europa?

Zum ersten Mal in seinem Leben verlebt Gauguin glückliche Monate, an seiner Seite eine einheimische Frau. Doch das Leben in der Ferne hat auch seinen Preis. Paris hat ihn vergessen. Die Bilder, die er nach Europa verschickt, werden von Publikum und Kritikern abgelehnt. Die Sorgen um ein finanzielles Auskommen bringen ihn wieder zurück nach Paris, wo er in eine Depression verfällt. Sein gesundheitlicher Zustand ist kritisch. Er will, er muss zurück nach Tahiti: „Ich wollte, ehe ich sterbe, meine ganze Energie, eine solche schmerzende Leidenschaft, solche visionäre Klarheit ohne spätere Korrektur hineinlegen, daß das Flüchtige verschwinden und das Leben selber heraustreten sollte“. Gauguin macht sich, so glaubt er, an sein letztes Bild, ein Gemäldefries mit dem Namen „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“. Das Bild zeigt vor einem urwaldigen Hintergrund verschiedene Menschengruppen. Im Zentrum pflückt ein Junge einen Apfel vom Baum (der Erkenntnis), eine Buddhastatue symbolisiert die Religion, am linken Bildrand kauert ein alter Mensch, am linken liegt ein Neugeborenes. Doch das Bild wird nicht zum Ende, sondern führt zu einem neuen Anfang. Gauguin erholt sich und malt weiter. Schließlich stirbt er 1903 in Autuona auf Hiva Oa und wird nur wenige Jahre nach seinem Tod zu einem einflussreichen Künstler aufsteigen.

Quelle: Per Amann (1980): Paul Gauguin. Berghaus-Verlag.