08.02.2011
Das C/O Berlin zeigt 187 Bilder aus dem Werk des amerikanischen Künstlers, dessen Fotos sich gleichermaßen durch Perfektion wie Radikalität auszeichnen.
Robert Mapplethorpe wird 1946 in Floral Park (NY) geboren und gehört zu den wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Nach seinem Kunststudium am Pratt Institute of Art Mitte bis Ende der 1960er Jahre ist die Frühphase seines Künstlerdaseins hauptsächlich durch zwei Dinge geprägt. Zum einen ist das die einzigartige Freundschaft mit der heute nicht minder berühmten Musikerin und Lyrikerin Patti Smith. Die Verbindung entsteht aus einer intensiven und unschuldigen Liebesbeziehung in jungen Jahren und ruht auf einer tiefen Seelenverwandtschaft zwischen den beiden. Zweitens spielt der steinige, von ständigem Geldmangel geprägte Annäherungsprozess an die Fotografie über das Sammeln und Collagieren von Fotos aus Zeitschriften und Büchern eine Rolle. Mapplethorpes’ Blick fürs Detail sowie sein enorm ausgeprägtes ästhetisches Empfinden und Darstellen mögen als Gegenentwurf aus dieser Zeit resultieren, in der er und Patti von Schulden geplagt in heruntergekommenen Wohnungen hausten und sich in einem Milieu bewegten, deren Bewohner den Sex-Drugs-Rock’n’Roll-Mythos ausschweifend zelebrierten. Robert und Patti sind Künstler geworden, weil sie sich kontinuierlich und beharrlich erprobt, wild experimentiert und sich gegenseitig inspiriert haben – stets im festen Glauben daran, eines Tages berühmt zu werden. Während Patti Smith noch heute Erfolge feiert, stirbt Robert Mapplethorpe 1989 an den Folgen einer HIV-Infizierung in Boston.
187 Aufnahmen in der Retrospektive des C/O Berlin
In einer Retrospektive, die noch bis zum 27. März 2011 läuft, zeigt das C/O Berlin nun 187 s/w-Aufnahmen von Robert Mapplethorpe von Mitte der 1970er bis Ende der 1980er Jahre: Polaroids, Patti-Porträts, Selbstporträts sowie sexuell-erotische Fotografien, Blumen, Kinder und nackte, wie Skulpturen anmutende Körper. Mapplethorpe „geht es um das Objekt“. Seine Objekte, egal ob lebend oder nicht, sind in erster Linie perfekte, ästhetische und libidinös konnotierte Kompositionen. Der Fotograf möchte den Menschen wie ein Stillleben vollendet inszenieren beziehungsweise „das Menschliche aus seinen Modellen tilgen“ (Süddeutsche, 02.02.11). Mit seinen skulpturalen Darstellungen zitiert er den Ästhetikkult und die Ikonographie der Antike und Renaissance. In seinen Blumenarrangements spielen Tulpen, Orchideen und Lilien die Hauptrolle – Blumen, die das Leben, die Liebe, Reinheit und Unschuld oder die Schönheit symbolisieren.
Die Selbstporträts des Robert Mapplethorpe
Mapplethorpe lebt zunächst in einer heterosexuellen Beziehung mit Patti Smith, bevor ihm seine Homosexualität offenbar wird, die er dann auch auslebt. Seinen Selbstporträts haftet einerseits eine Machoattitüde an, wenn er in Leder gekleidet arrogante Blicke in die Kamera wirft oder eine Maschinenpistole trägt. Andererseits inszeniert er sich als Frau im Pelz. Patti Smith hat einmal gesagt: „Ich war Roberts erstes Modell, sein zweites war er selbst“ und so sind Mapplethorpes Selbstporträts vor allem dem Umstand mangelnder Möglichkeiten und einer unbändigen Lust am Experiment geschuldet. Es scheint, als wolle Mapplethorpe alle Möglichkeiten seines Daseins ausleuchten, wenn er sich einerseits als Dandy inszeniert, sich andererseits aber Teufelshörner aufsetzt. Der Fotograf ist ein Schauspieler, der die Wirkung von Blicken an sich selbst und vor allem auch an seiner Vertrauten Patti Smith ausprobiert.
Die Stillleben: Blumen und Körperbilder
Seine Blumenstillleben und seine Körperbilder sind der Inbegriff von Präzision und Perfektion – und Vergänglichkeit. Vor allem bei dem Foto Orchidee und Hand (1983) verschmilzt die Natur mit dem Menschlichen und Mapplethorpe betont die überirdische Anmut und Flüchtigkeit gleichermaßen. Dies gilt auch für die Fotos, die im Segment „Bodies“ ausgestellt sind. Der Fotograf fokussiert, ähnlich dem vitruvianischen Menschen da Vincis, auf die Vollkommenheit des menschlichen Körpers, er widmet sich mit einem fast sezierenden Blick einzelnen Körperteilen, gibt sich dem Spiel der Muskeln hin – er zeigt ungewohnte Perspektiven auf wohl bekannte Körperregionen.
Mapplethorpe als Anatom der Fotografie
Ein weiterer ausdrucksstarker Beweis für sein Faible für die menschliche Anatomie ist die dreiteilige Serie Ken Moody and Robert Sherman (1984), in der er ein weißhäutiger einem schwarzhäutigen Mann zugewandt sowie abgewandt steht. Beide sind nackt, nicht nur ohne Kleidung, sondern auch unbehaart. Die Serie mutet wie eine medizinische Studie an, anhand derer man die unterschiedliche Physiognomie eines weißen und eines schwarzen Mannes studieren kann. Auf dem dritten Bild haben beide das Gesicht der gleichen Richtung zugewandt und einer von beiden vertraut mit geschlossenen Augen dem anderen, der eng an ihn geschmiegt hinter ihm steht.
Lesetipp: Patti Smith (2010): Just Kids: Die Geschichte einer Freundschaft. Kiepenheuer & Witsch.