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(IV) Ratschläge für Künstler: Haben Sie so wenig Sex wie möglich!

21.01.2011

Der erste Serienteil extrahiert aus Worten großer Schöpfer das künstlerische Wesen. Nun ist es aber leider so, dass diese Worte wohl überlegt und formuliert sind und wir davon ausgehen müssen, dass sie eher einer idealistischen Wunschvorstellung als der nackten Wahrheit genügen. Poetische Vorstellungen vom Künstler als „Zeiger des Universums“ oder dem „Priester des Ewigen“, der „den Blick auf die subjektiven Landschaften seiner Seele“ wendet, und dessen „Sinnlichkeit bis in die Fingerspitzen“ reicht, der „von seinem Werk besessen, dabei naiv und unbewußt seiner Schöpferkraft anheimgegeben“ ist, haben in der immer stärker von der Marktökonomie geprägten Kunst keinen Platz mehr. Dennoch seien die Eigenschaften, die Dichter und Denker Künstlern mit feinsinnigen und bilderreichen Worten zuschreiben, an dieser Stelle noch einmal wiederholt: Der Künstler braucht erstens den Mut, mit gängigen Konventionen zu brechen. Zweitens benötigt er einen gut ausgeprägten Sinn für Schönheit und Ästhetik, drittens ein Gespür für moralisches Verhalten, viertens eine solide, handwerkliche Ausbildung sowie fünftens die Fähigkeit zur Konzentration. Die jemalige Realisation dieser Vorstellungen ist meist das Ergebnis eines langen, mitunter schmerzhaften Entwicklungsprozesses, der häufig über viele Umwege führt, deren Auswirkungen oft erst im Nachhinein klar und deutlich hervortreten.

Herkunft, Handwerk & Herz

Im zweiten Teil zeigen sich in der Beschäftigung mit den wichtigsten zeitgenössischen Künstlern (2007) einige denkwürdige Befunde. Sie deuten darauf hin, was für eine künstlerische Karriere von Belang sein kann. Die Herkunft der Künstler spielt eine einflussreiche Rolle. Sowohl die USA, vertreten durch Prince, Koons, Baldessari und Nauman als auch Deutschland mit den Künstlern Genzken, Richter und Tillmans positionieren sich auf den ersten Plätzen. Welche Bedeutung hat der soziale, politische und ökonomische Rahmen? Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wirbt mit dem Erfolg seiner einst Gläser spülenden Stilikonen und Megastars. Einen starken Einfluss üben die Beat-Generation und die Pop-Art aus. Eine stark konsumorientierte Gesellschaft durchdringt die Ideenwelt der Künstler. Alle der hier dargestellten amerikanischen Kreativen arbeitet dezidiert gesellschafts- und konsumkritisch. Der Warhol’sche Einfluss ist nicht zu leugnen: Besonders Prince, Koons und Baldessari collagieren, überspitzen und konterkarieren zu Ikonen aufgestiegene Konsumobjekte des alltäglichen Gebrauchs. Koons und Nauman setzen auf Verstörung und Konfrontation und stellen die Wahrnehmung des amerikanischen Individuums, geprägt vom hegemonialen und selbstherrlichen Auftreten des „god’s country“, auf eine harte Probe. In Deutschland, einige Jahrhunderte lang nachhaltig von einer prächtigen kulturellen Landschaft in Literatur, Philosophie und Kunst durchdrungen, interessieren sich Richter und Tillmans in Malerei und Fotografie für die leisen Töne, für die Schönheit. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass allen drei Deutschen die Aura der Düsseldorfer Kunstakademie anhaftet. Beuys hat der Künstlerschmiede einen unauslöschbaren Stempel aufgedrückt. Vor allem die anarchistisch angehauchte Isa Genzken beruft sich auf ihn. Der Ort, an dem man aufwächst, der einen mit seiner Atmosphäre umfängt und beeinflusst als auch die Institution, an der man seine Ausbildung erhält, spielen eine wesentliche Rolle. Neun von zehn der wichtigsten zeitgenössischen Künstler erwerben ihr Handwerk und ihre Kenntnisse an Hochschulen oder Kunstschulen. Diese Ausbildung öffnet das heilige Tor zur Kunst als unendlichem Ideenkosmos und führt ebenso auch an das Handwerk heran. Das Kennen- und Erlernen verschiedener Techniken unterstützt die Suche nach dem individuell geeigneten Medium. Denn für die Kunst gilt ganz besonders: „Der Weg ist das Ziel“. Und so sind auch die meisten Künstler in kleinen Schritten dem großen Erfolg entgegengewandelt. Im Bereich der zeitgenössischen Kunst setzen sich vor allem Installationen und Fotografie durch, was nicht bedeutet, dass diese Formen automatisch Erfolg versprechen. Wichtig ist nur, dass die individuelle Ausdrucksform authentisch ist. Authentizität gewinnt man auch mit dem, was man mitzuteilen hat. Diese Botschaft muss ihre Wurzel im Innersten selbst haben, um zu überzeugen und andere Menschen aufzurütteln oder zu berühren. Und zuletzt:

Kunst ist Tat!

Mit geschätzten 37.000 Kunstwerken ist sicherlich Pablo Picasso der ambitionierteste Kunsttäter der Moderne. Auch der Österreicher Gustav Klimt sowie die Franzosen Claude Monet, Zugpferd des Impressionismus, sowie Edgar Degas als auch Vincent van Gogh hinterlassen neben der Qualität ein zahlenmäßig beachtliches Werk. Wie bei den zeitgenössischen Künstlern lässt sich auch bei den alten Meistern ein geographisches Zentrum ausmachen – Paris. Diese Stadt hat die Künstler als Lebensmittelpunkt inspiriert und ist zudem oft der Ort von Ausstellungen. Viele dieser Künstler erregen nicht nur mittels ihrer Kunst Aufmerksamkeit, sondern mit ihren Mythos befeuernden vielschichtigen Charakter und Lebensstil. Drei Spielfilme eignen sich zur Imagination dieses Künstlertyps. Der einzigartige Schauspielkünstler John Malkovich mimt in einem Biopic den Österreicher Klimt im gleichnamigen Film von 2006. Daniel Craig spielt 1998 in „Love is the Devil“ den Liebhaber des Iren Francis Bacon. Anthony Hopkins verkörpert (!) in einem Film von 1996 den sondergleichen Spanier (Originaltitel: „Surviving Picasso“); ein Film, der vor allem die Persönlichkeit des Jahrhundertgenies in den Fokus nimmt. Die Auseinandersetzung mit diesen Künstlern fokussiert auf die nicht zu leugnende Schubkraft einer lebendigen, leidenschaftlichen Persönlichkeit als Basis für die Fähigkeit und vor allem auch den Willen, gestalterisch tätig zu sein. Leider ist noch ein weiterer Punkt wesentlich: Vincent van Gogh ist ein Beispiel dafür, wie ein Kunstkritiker (hier: Julius Meier-Graefe) mit geschickten Marketingstrategien einen Künstler nach dessen Tod stilisiert und auf den Thron der Ewiglichen hebt.

Die Konstruktion von Image

Die Soziologen Jörg Rössel und Jens Beckert haben in einer Studie über den Zusammenhang von Kunst und Preisen festgestellt, dass „kunstinterne Bewertungen und Aktivitäten (…) die Reputation und die öffentliche Wahrnehmung eines Künstlers ermöglichen und konstruieren“ und eben dieses Image den Preis bestimmt. Daraus leiten sich vorerst zwei Erfolgsregeln ab: Suchen Sie sich einen klugen Galeristen und steigern Sie Ihre öffentliche Wahrnehmung! Andererseits: Was einfach klingt, gestaltet sich in der Praxis etwas schwieriger. Wer ist ein guter Galerist? Und: Wer in einer Social-Media-regierten Welt Gehör finden möchte, muss viele F-R-E-U-N-D-E haben. Die Vielgestaltigkeit der zeitgenössischen Kunst und ihre ineinander verflochtenen Motive erfordern individuell komponierte Ideen, um die eigene Berühmtheit zu steigern und erfolgreich zu werden. So wie der Künstler sich an seine Kunst heranpirscht, kann sich jeder diejenigen der folgenden Hinweise und Ratschläge heraussuchen und mit ihnen experimentieren, bis er (oder sie) die richtige Mischung für sich gefunden hat. Die folgenden Ratschläge stammen von Künstlern selber („Tips for Artists Who Want to Sell“ von John Baldessari), von renommierten Wochenzeitungen oder Zeitschriften wie der ZEIT, dem art Magazin, dem Mode- und Kunstmagazin sleek als auch von einem an Kunst interessierten Laien und Schriftsteller.

Für Rationale & kühl Kalkulierende: die politische und sozio-ökonomische Annäherung an den Erfolg

Man folge dem Motto „Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 Jahren noch Kommunist ist, hat keinen Verstand“ (Winston Churchill), verpflichte sich der Demokratie und lasse diesen politischen Impetus in die Kunst fließen (beispielsweise durch Streetart), wenn man berühmt geworden ist. Bis dahin produziere man sich als Anarchist (beispielsweise durch Streetart). Auf jeden Fall gilt: Seien Sie politisch (Banksy, Staeck, Baumgärtel)! Hinsichtlich der ökonomischen Dimension gibt es zwei wichtige Hinweise: Achten Sie auf ein wohlhabendes Elternhaus (bzw. lassen Sie sich adoptieren oder heiraten Sie mit Bedacht) und verkaufen Sie Ihre Produkte, sofern Sie noch keinen Galeristen haben, zu Schleuderpreisen, weil dies Ihre unwiderlegbare Coolness demonstriert: And … cool sells! Und seien Sie nicht nur cool, sondern auch mit Weitblick bewaffnet: Schützen Sie rechtzeitig Ihr Copyright. Wenn Sie Ihr Geld schon nicht mit dem Verkauf ihrer Kunst machen können, verklagen Sie eifrig die Diebe ihrer geistigen Güter. Glauben Sie nicht, dass nur in der Politik plagiiert wird. Sollte sich zeigen, dass Herr K. T. M. N. J. J. P. F. J. S. F. v. u. z. G. trotz der derzeitigen Vorwürfe sein Amt behält, werden sich unter Umständen einige andere ein Beispiel daran nehmen (Achtung: Politiker zu imitieren, bedeutet trotz allerlei anderslautender Unkenrufe nicht, politisch zu sein!).

Für Eloquente & Extrovertierte: die psychologische Herangehensweise, um berühmt zu werden

Brainwash yourself: Verschließen Sie Ihren Idealismus in den Tiefen Ihrer Seele! Der Kunstmarkt generiert sich fast ausschließlich aus dubiosen Geschäftspraktiken. Sobald Sie diese internalisiert haben, fahren Sie fort: Gehen Sie auf jede Vernissage und drängen Sie jedem als allererstes die Information auf, dass Sie Künstler sind. Versichern Sie Ihrem Monologpartner im zweiten Schritt, dass Sie keine Lust haben, über sich zu reden und reden Sie von nichts (nichts) anderem. Verzichten Sie, wenn Sie männlich sind, niemals auf die Stereotypen der Männlichkeit (dominant! aggressiv! kräftig! unmanierlich! stilwidrig! ungepflegt!) – im Gegenteil: kultivieren Sie sie. Machen Sie, wenn Sie weiblich sind, Ihr Geschlecht ohne Ausnahme und immerfort zum Hauptthema. Abonnieren Sie EMMA und tragen Sie ein Exemplar stets gut sichtbar bei sich (im Notfall können Sie sie zusammengerollt auch als Waffe nutzen). Experimentieren Sie mit Drogen und tun Sie dies schamlos kund (Cocteau, Modigliani, van Gogh, Picasso, Kirchner). Beteiligen Sie sich gleichzeitig öffentlichkeitswirksam an No-Drugs-Kampagnen. Feuern Sie permanent die Namen wohl bekannter Künstler ab und tun Sie so, als wären sie ihre engsten Buddys und Inspirationsquelle sowieso (Empfehlung: Richter, Rauch, Kiefer). Wenn Sie dann populär geworden sind: Nehmen Sie diese Namen nie wieder in den Mund, denken Sie nicht einmal daran. Behaupten Sie weiterhin, an der Etablierung einer bestimmten Schule beteiligt gewesen zu sein und scheuen Sie anschließend jeden Kontakt zu dieser Szene. Seien Sie Ihr eigener Protagonist (Sherman), machen Sie sich selbst zum Hauptdarsteller Ihrer Installationen, Videos, Fotografien und Malerei, bewahren Sie sich aber dennoch eine mystische Aura, hüten Sie das Geheimnisvolle (nehmen Sie sich ein Beispiel an Miranda July). Üben Sie sich in lässiger Selbsterkenntnis. Sterben Sie berühmt und preisgekrönt oder verschwinden Sie auf Nimmerwiedersehen (für diejenigen, die nach kurzer Zeit an dieser Maßnahme Zweifel hegen, empfehlen wir die Beschäftigung mit dem Mythos Bobby Ewing). Minimieren Sie Ihr Vokabular, sprechen Sie nur in Phrasen, strapazieren Sie einige, prägnante Leitworte. Lassen Sie sich hierbei beispielsweise von John Baldessari inspirieren: „Terms Most Useful in Describing Creative Works of Art“). Das Allerwichtigste für Ruhm, Bedeutung und Erfolg ist die Pflege einer Aura von Verdrießlichkeit und Geltungssucht, die sich am allerbesten mit einem kultivieren lässt: Haben Sie so wenig Sex wie möglich!

Für Emsige & Tiefgründige: die inhaltliche Strategie zum Erfolg

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ (Karl Valentin). Für die besonders fleißigen Arbeitsbienen, die sich weder für Politik interessieren, noch für sich selbst, die Vernissagen scheuen wie der Bahnchef die S-Bahn und für die Sex noch die einzige kostenfreie, das Dasein erhellende Vergnügung ist, gibt es eine Reihe von Vorschlägen inhaltlicher Art, mit der sich die Berühmtheit langsam voranbringen lässt. Der erste Vorschlag stammt von Steve Martin (formally known as Pink Panther) aus seinem Buch „The Object of Beauty“: Mit dem Aufhängen erfolgreicher Kunst kann man sich finanziell erstmal über das Schlimmste hinwegretten. Vielleicht greift die heilige Aura der Bilder über? Zweitens: Lernen Sie Kunstvokabeln (z. B. die von Baldessari). Martin empfiehlt die möglichst häufige Nutzung von „schön, außergewöhnlich, erlesen, heiter, exquisit und wichtig“. Vergessen Sie zudem alles außerhalb der Kunst, konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche, strapazieren Sie Ihre grauen Zellen nicht über – deren Aktivität könnte sonst einen plötzlichen Inspirationsschub untergraben. Wenn Sie gerade unter einem akuten Mangel desselbigen leiden, halten Sie sich an folgende Regeln. Junge Frauen und Männer gehen besser als alte, das gilt selbstverständlich nicht nur für die Kunst, sondern auch Ihre Begleitung auf Vernissagen. Machen Sie Kinderkacke, produzieren Sie „krasses Zeug“ (wie Hirst), „schlaues Zeug“ (wie Baldessari) oder Pornographisches (Koons). Machen Sie abscheuliche Kunst (McCarthy’s „Complex Shit“)! Die meisten Sammler lieben nämlich irgendwann jene Kunst, die sie ewig verachtet haben. Ziehen Sie helle dunklen Farben vor. Beschränken Sie sich auf die Themen, die immer gehen: Madonna mit Kind, Landschaften, Blumen, Nackte, abstrakte und surrealistische Kunst. Entscheiden Sie sich: Explizieren Sie entweder ALLES, was sie tun ODER NICHTS. Fechten Sie auf jeden Fall Ihre eigenen Arbeiten an und nageln Sie sich niemals fest (Sie wissen doch: kein Sex!). Liebkosen und gestalten Sie das Alltägliche und zeigen Sie sich gleichzeitig von ihrer ökologischen Seite: Nutzen Sie Alltagsgegenstände und Konsumobjekte als Material und (das ist sehr wichtig): Wählen Sie das größtmögliche Format.

„Die Kunst und nichts als die Kunst!“

Nein, ganz im Ernst: Vergessen Sie Ratschläge – vertrauen Sie Ihrem Instinkt! Wozu sind Sie ein Künstler? Wenn Sie erfolgreich oder berühmt werden wollen, studieren Sie Wirtschaft oder Jura, ökonomisieren Sie Ihren Geist oder gehen Sie zu DSDS, GNTM oder tvtnsfdwadkhuwgnemkakvanbüdlzt. Wenn Sie ein Künstler sind und daran nichts zu ändern ist: Machen Sie weiter! Haben Sie Spaß daran! Genießen Sie die Fülle und Inspiration des Schaffensprozesses, folgen Sie Ihren Gedankengängen in die Weiten der Unendlichkeit und danken Sie Gott für Ihr Talent! Kunst ist die Ausgeburt der ausgestalteten Intuition, Kunst ist das Abbild des Dazwischen. Geld macht nicht glücklich, Kunst schon.

„Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Stimulans des Lebens“ (Nietzsche).

Quellen:

„22 Wahrheiten über den Kunstmarkt“ (von Tobias Timm), ZEIT, 10.02.2011.

„Tips for Artists Who Want to Sell“ (John Baldessari), Acryl auf Leinwand (1966-68).

„Tolle Ideen für Künstler”, art Magazin, August 2010.

„Erfolg – wie geht das?“ (von Hanno Rauterberg), ZEIT, 25.11.2010.

„The hardest job requirements in art and fashion“, sleek – magazin for art and fashion, winter 2010/11.