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(III) Die teuersten Kunstwerke auf Auktionen

20.01.2011

Der erste und zweite Serienteil präsentieren die mit künstlerischer Schöpfung verknüpften Eigenschaften als auch die vom Kunstmagazin MONOPOL 2007 bestimmten zehn wichtigsten Künstler der Gegenwart. Der dritte Serienteil führt nun zurück in die Vergangenheit. Der zeitgenössische Kunstmarkt hat sich zu einer Marktkunst entwickelt. Sich ständig selbst überbietende Rekordpreise stehen im Zentrum der medialen Kunstberichterstattung. So werden jetzt diejenigen Künstler ein wenig näher betrachtet, deren Werke auf Auktionen die höchsten Gewinne eingefahren haben (Stand: Mai 2010). Alle zehn Bilder kommen bei Sotheby’s (mit Sitz in New York) oder Christie’s (mit Hauptquartier in London) unter den Hammer. Wir begegnen dem Spanier Pablo Picasso, dem Schweizer Alberto Giacometti, dem Österreicher Gustav Klimt, dem Iren Francis Bacon, dem Niederländer Vincent van Gogh, den Franzosen Claude Monet und Edgar Degas sowie dem Flamen Peter Paul Rubens und ihren Werken. Was sind das für Werke? Welche Geschichten verbergen sich dahinter? Und: Wird Kunst immer mehr zum Statussymbol und Distinktionsobjekt?

Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe

Die in Teil zwei betrachteten zeitgenössischen Künstler stammen aus dem Okzident, aus den USA oder Europa. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Urheber der teuersten Werke der Welt, mit einem wesentlichen Unterschied: Diese zehn Kunstwerke stammen alle aus der Alten Welt, vor allem aus Zentraleuropa. Paris ist DAS Zentrum und Hotspot der geographischen Biographie der Bilder. Es ist wohl keine Überraschung, dass der berühmteste Künstler aller Zeiten Pablo Picasso (1881-1973), der einflussreichste künstlerische Schöpfer der Neuzeit, der nahezu alle Genre umfassende spanische Maler, Grafiker, Bildhauer und mit unmenschlicher Energie und Leidenschaft ausgestattete Lebemann mit gleich drei Werken in den Top Ten vertreten ist. Den Anfang macht an dieser Stelle allerdings Edgar Degas auf Platz zehn.

Die teuerste Pastellzeichnung: Degas’ „Danseuse au respos“ (10)

Die Tänzerin in Ruhestellung (1879) ist das einzige Bild in diesem erlauchten Kreis, das kein Gemälde ist. Die fast quadratische Pastellzeichnung von Edgar Degas (1834-1917) stellt sich inmitten von Horrornachrichten aus Wirtschafts- und Finanzwelt während der Herbstauktionen 2008 als große Überraschung heraus: 3,7 Mio. USD ist sie seinem neuen Besitzer wert. Es ist das einzige hier vorgestellte Werk, das über hundert Jahre im Besitz einer einzigen Familie verbleibt. Es gehört Degas’ Freund Jules-Emile Boivin und dessen Nachfahren. Boivin kauft es um 1885 für 1.200 Franc, um seinen Freund aus einer finanziellen Schieflage zu befreien. Sotheby’s begründet den hohen Preis damit, dass kein anderer Künstler seiner Zeit in der Lage gewesen ist, die besondere Atmosphäre der Theaterwelt so überzeugend und ergreifend darzustellen wie Degas.

Der teuerste Irrtum: Peter Paul Rubens’ „Massaker der Unschuldigen“ (9)

Dieses Bild des in Deutschland geborenen Flamen Rubens (1577-1640) gehört zum Frühwerk des Barockmalers und Diplomaten. Das Werk entsteht etwa um 1610 und befindet sich in einem bemerkenswerten Zustand. Jahrelang halten die Experten den Rubens-Schüler Jan van den Hoecke für den Künstler. Und so hat das Bild vor der großen Entdeckung (2011) lediglich einen Schätzwert von etwa 37.000 Euro. Mehrfach unternehmen die Besitzer den Versuch, das Bild zu verkaufen und es wird auch ausgeliehen. Dennoch ahnt lange niemand, wie wertvoll es ist. Bei der Versteigerung im Juli 2002 rechnet Sotheby’s mit einem Erlös von bis zu 10 Mio. Dollar. Eine solche Entdeckung, wie sie Kunstexperten wohl nur alle 20 Jahre gelingt, muss gefeiert werden: Mehr als das Siebenfache (76,7 Mio. USD) wechselt den Besitzer.

80 Jahre unter Verschluss: Claude Monets „Le Bassin aux Nymphéas“ (8)

Dieses Ölgemälde mit einer Größe von etwa einem auf zwei Meter, das 1919 entsteht, wird zuletzt 1927 im Arts Club (Philadelphia) öffentlich gezeigt. Dieses Bild unterliegt im Laufe der Zeit einem enormen Preisanstieg. 1971 kostet das Bild bei Sotheby’s 320.000 Dollar, im Juni 2008 geht es für 80,5 Mio. USD an den Meistbietenden. Dieser Preis ist ein klassisches Beispiel von Angebot und Nachfrage: Es ist das einzige noch öffentlich verfügbare einer Viererserie. Eines hängt im MoMA, eines geht 1992 bei Christie’s über den Tisch und das vierte ist in zwei Teile zerschnitten worden. Der „Seerosenteich“ ist zudem ein sehr persönliches Bild des Franzosen (1840-1926), der es nach vielen Jahren als Idee in seinem Kopf erst in seiner Spätphase malt. Als Vorlage dienen seine selbst angelegten Gartenteiche in seinem heute frei zugänglichen Haus im französischen Giverny.

Das unruhige Leben des Dr. Gachet (7)

Ein Japaner ersteigert 1990 Vincent van Goghs (1853-1890) Gemälde „Porträts des Dr. Gachet” (1890) für 85,2 Mio. USD. Die Geschichte dieses Bildes ist besonders interessant und ein schönes Beispiel dafür, wie wechselvoll Bilderbiographien sein können. Van Goghs Ruhm entsteht erst posthum. Mit einer geschickten Marketingstrategie proklamiert der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe den Niederländer zum „Christus der Moderne“. Meier-Graefe missbraucht vor allem die Geschichte des abgeschnittenen Ohres und kreiert einen Künstlertypus, der zwischen Genie und Wahnsinn gefangen ist. Die amerikanische Kunsthistorikerin und Journalistin Cynthia Saltzman zeichnet in ihrem Buch „Das Bildnis des Dr. Gachet. Biographie eines Meisterwerkes“ die Geschichte des Bildes nach. Insgesamt nennen im Laufe der Zeit 13 Menschen das Bild ihr Eigen. Nach dem Tode des Künstlers wechselt das Bild in den Besitz von Bruder Theo van Gogh. Dessen Witwe verkauft es für 300 Francs an eine Sammlerin aus Dänemark. Der deutsche Kunsthistoriker Georg Swarzenski erwirbt das Bild 1912 für das Frankfurter Städelmuseum. Die Nazis beschlagnahmen das Bild 1937 als „entartete Kunst“. Hermann Göring veräußert es (zusammen mit zwei anderen Bildern) für eine halbe Million Reichsmark an einen niederländischen Bankier. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges zieht das Bild in die USA, gelangt dann vor etwa 20 Jahren nach Japan und ist seitdem verschwunden. Niemand kennt den Zustand oder den Aufenthaltsort des Porträts.

Das teuerste Bild der Nachkriegszeit: Francis Bacons „Triptych, 1976“ (6)

Mit einem Verkaufswert von 86,3 Mio. USD ist dieses das teuerste Bild der Nachkriegszeit. Ein anonymer Käufer ersteigert es im Mai 2008. Es handelt sich bei diesem knapp zwei auf anderthalb Meter großem Triptychon um ein für den Künstler sehr typisches Werk. Bacon (1909-1992) interessiert sich in erster Linie für die Darstellung des menschlichen Körpers. Sein deformativer Hang spielt mit den Themen Zerstörung und Verfall. Bacons Werk ist die Konsequenz der Dialektik von exzessivem Lebensstil und stark ausgeprägter Intellektualität. Von sich selbst sagt er: „Es gab so viel Krieg in meinem Leben“. Bis zur Versteigerung gehört dieses Bild der Marlborough Gallery (London), von wo aus es unter anderem zu Ausstellungen nach Paris, Kassel, Madrid, Moskau und New Haven (Yale) reist.

Die Kopie des einst teuersten Bildes der Welt: Klimt’s Bildnis der „Adele Bloch-Bauer II“ (5)

Adele Bloch-Bauer ist die Frau des schwerreichen Industriellen und Mäzen Ferdinand Bloch-Bauer. Klimt (1862-1918) malt sie zweimal. Diese zweite Version (1912) ist ein klassisches Jugendstilgemälde. Es zeigt die Porträtierte in eleganter Kleidung vor einem farbenfrohen Hintergrund. Im November 2006 wird es für 87,9 Mio. USD versteigert. Die erste Version, auch als die „Goldene Adele“ bekannt, geht 2006 für 135 Mio. USD an einen Sprössling der Mode-Dynastie und Präsidenten des Museum of Modern Art, Ronald Lauder. Kurzzeitig avanciert es zum teuersten Bild der Welt, wird dann aber wenige Monate später von Jackson Pollocks No. 5 (140 Mio. USD) abgehängt.

Picassos Bilder eines „Garcon á la pipe“ und seiner Geliebten Dora Maar (3 & 4)

Auf Platz drei und vier befinden sich Picassos „Junge mit Pfeife“ (1905) für 104 Mio. USD (Mai 2007) sowie „Dora Maar mit Katze“ (1941) für 95,2 Mio. USD (Mai 2006). Picassos Garcon gehört thematisch in den Übergang von der Blauen zur Rosa Periode. Es ist sicherlich eines der wundervollsten Bilder Picassos und führt die Liste der teuersten Werke jahrelang an. Er selbst sagt über dieses Ölgemälde, er habe „dieses Werk zu einem Meisterwerk gemacht“. Das Bild zeigt sehr schön, welche Rolle der Zufall am Gelingen eines großartigen Bildes spielt. So hat Picasso schon längere Zeit daran gearbeitet. Eines Abends kommt er in sein Atelier und „dramatically transformed in a moment of sudden inspiration” (Sotheby’s Catalogue). Vor einem mit Blumen geschmückten rosabraunen Hintergrund sitzt ein in Blau gekleideter junger Mann, der den Betrachter nachdenklich und skeptisch anblickt und eine Pfeife in der Hand hält. Die beiden Gesichtshälften drücken unterschiedliche Stimmungen aus. Während die linke, perspektivisch etwas größer wirkende Hälfte aufmerksam schaut, fällt die hintere, rechte Hälfte als melancholisch und verhärtet auf. Der „Junge mit Pfeife“ steht im Gegensatz zu Picassos „Dora Maar“, denn dieses Bild ist bis zu seiner spektakulären Versteigerung der Öffentlichkeit kaum bekannt. Der Pfeifenjunge hingegen hängt allein in den 1950er Jahren fünfmal in den USA, davon allein dreimal im New Yorker MoMA. Das Ölbildnis „Dora Maar“ stellt Picassos Geliebte von Mitte der 1930er bis Anfang der 1940er Jahre dar. Es zeigt die Muse mit einer Katze auf der Lehne, wie sie einer Heiligen gleich aufrecht auf einem Stuhl vor einem hellen Hintergrund sitzt. Dora präsentiert sich in kräftigen Farben, einem Hut und lackierten Fingernägeln. Dieses für Picasso typische Porträt zeigt die lächelnde Dame im gleichen Moment sowohl im Profil als auch frontal. In seiner 70jährigen Geschichte hat das Kunstwerk nur drei Besitzer. Einer davon ist der legendäre Berliner Kunstsammler Berggrün. In dieser Zeit öffnet sich das Bild nur dreimal einem Publikum, zuletzt 1968 am Arts Institute of Chicago.

Mit großen Schritten auf Platz zwei: Alberto Giacomettis “L’homme qui marche I”

Dieses Meisterstück Giacomettis aus dem Jahr 1960 zeigt einen hageren, leicht nach vorn gebeugten, „schreitenden Mann“ mit überlangen Gliedmaßen. Seinem neuen Besitzer ist die Plastik im Februar 2010 104,3 Mio. USD wert. Diese Ikone moderner Kunst ziert seit 1998 auch den Schweizer 100-Franken-Schein. Nach einer surrealistischen Phase im Kreise von Louis Aragon, Jean Cocteau, Max Ernst oder Joan Miró beginnt Giacometti (1901-1966) schon Mitte der 1930er Jahre mit der Modellierung von kleinen Plastiken, die meist Freunde und Bekannte darstellen. Aus diesen Miniaturen entstehen nach dem Zweiten Weltkrieg erste Skizzen von Figuren mit überlangen Extremitäten. Trotz ihres schmalen Körperbaus hat diese Bronzeplastik etwas Entschlossenes, betont durch den nach vorn gebeugten Körper. Die herabhängenden Arme stehen im Gegensatz für eine eher abwartende Haltung. Die Giacometti-Exptertin Valerie J. Fletcher formuliert es so: „Walking Man I stands as a symbol of humanity always striving, ever seeking“.

Das teuerste Gemälde der Welt: Nackte, grüne Blätter und Büste

Dieses Ölgemälde mit dem Originaltitel „Desnudo, hojas verdes y busto“ stammt aus dem Jahr 1932 und somit aus einer Periode, in der (nach der etwa eine Dekade bis 1919 dauernden kubistischen Phase) vor allem Klassizismus und Surrealismus Picasso beeinflussen. Seine bevorzugten Motive aus dieser Zeit sind Künstler & Modell sowie der Minotaurus bzw. Stier, der Rausch, Erregung und Rücksichtslosigkeit symbolisiert und auch im wichtigsten Bild dieser Phase „Guernica“ (1937) im Zentrum steht. Blau- und Grüntöne dominieren das teuerste Bild. Picassos Geliebte Marie-Thérèse Walter liegt am unteren Rand des Bildes auf dem Rücken neben einer Schale mit Äpfeln und reckt sich wollüstig vor einem blauen Vorhang. Rechts über ihr steht eine ihr ähnlich sehende Büste auf einem antiken Sockel, links über ihr ranken sich grüne Blätter einer Pflanze. Warum dieses vor der Auktion kaum bekannte Bild einen Wert von 106 Mio. USD hat, ist schwer zu sagen. Vielleicht weil das Bild in das „annus mirabilis“ (1931/32) fällt, dem kreativsten Jahr des Künstlers, wie sein Biograph John Richardson schreibt.

Pablo Picasso: Gott unter Schöpfern

Dieser Künstler beeinflusst mit seiner epochemachenden thematischen wie auch technischen Breite und mit seiner explosionsartigen Ausdruckskraft die weitere Entwicklung der Kunst in einer unwiderruflichen Weise. Der Picasso-Experte J. M. Fox trägt die unglaublichen Details und Facetten der personifizierten modernen Kunst zusammen. Demnach schafft Picasso etwa 37.000 Werke und stellt jedem einzelnen seiner Lebenstage mehr als ein Werk zur Seite („Nackte, grüne Blätter und Büste“ ist nach dieser Kalkulation in weniger als 24 Stunden entstanden; bei seinem Preis liegt der Sekundenlohn Picassos bei etwa 1.200 USD). Zum umfassenden Werk des Spaniers gehören: Ölbilder, Grafiken, Skulpturen, Keramiken, Bühnenbilder, Gedichte, Fotografien und vieles mehr. Picasso ist DAS Sinnbild für Kreativität, Ausdruckskraft, Mannigfaltigkeit, Lebensfreude und ein Beispiel dafür, wie sehr eine außergewöhnliche, vor Kraft trotzende, aber auch charakterlich unlenksame Persönlichkeit die Chora einer Schöpferkraft ist, wie sie ihresgleichen sucht und vermutlich immer suchen wird.

Picasso und der Wunsch, zu masturbieren

Die beiden zuletzt versteigerten Werke sind zugleich die teuersten. Solange die Reichen immer reicher werden und über riesige finanzielle Ressourcen verfügen, sich auch die Neumilliardäre aus Russland, Indien und China immer mehr für Kunst, entweder als Anlage- oder Prestigeobjekt, interessieren, werden die Preise für die Klassiker der Moderne in der Zukunft weiter steigen. Über den Wert der Kunst sagt das nicht viel aus. Die Soziologen Jörg Rössel und Jens Beckert stellen in einer Studie über den Zusammenhang von Kunst und Preisen 2004 fest, dass „kunstinterne Bewertungen und Aktivitäten (…) die Reputation und die öffentliche Wahrnehmung eines Künstlers ermöglichen und konstruieren“ und eben dieses Image beeinflusst die Preisbestimmung immanent. Der Londoner Blogger Tom Flynn drückt es etwas populärer aus: „The very name Picasso is enough to have art investment fund managers and hedge fund billionaires masturbating into their spreadsheets“. Aus träumerischer Farbgebung, eindrucksvoller Ikonographie, aus ergreifender Transzendenz und genialem Subtext werden Zyklen, Indizes, Dividenden und Blue Chips.

Post Scriptum. Berechnet man den Wert pro qcm der Werke, erhält man (Giacometti ausgeschlossen), beginnend mit dem letzten Platz: Bacon, Rubens, Klimt, Monet, Picasso (Nackte), Picasso (Maar), Degas, Picasso (Garcon) und als den großen Gewinner Vincent van Gogh mit seinem Bild, von dem man nicht weiß, ob es überhaupt noch existiert, weil der 1996 verstorbene letzte Besitzer folgenden Wunsch äußert: „Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe“.

Literatur:

Fox, Johannes M. (2008): Picassos Welt (2 Bände). Personen, Orte, Werke, Einflüsse, Sammlungen. Ein Lexikon. Projekte-Verlag.

Rössel, Jörg & Jens Beckert (2004): Kunst und Preise. Reputation als Mechanismus der Reduktion von Ungewissheit am Kunstmarkt. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 56(1): 32-50.

Quelle der Werke