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Transformation und Kunst: Die Aufgabe der (Netz-) Kunst in einer ökonomisierten Welt

16.02.2012

Es ist das Bild des Goldenen Zeitalters als einer Welt der vollständigen Metamorphose oder Übertragung der Natur in menschliche Kunst, die sich unserem Zeitalter der Elektrizität nun eröffnet (McLuhan 1970).

Transformationen in unterschiedlichen Teilsystemen

Der deutsche Künstler Martin Wehmer gibt seinen Studierenden gern Folgendes mit auf den Weg: „Ihr seid in einer unglaublichen Situation, in einem Zeitscharnier, da sich Schwerpunkte auf der Welt grundlegend verschieben und auch Kunstgeschichten neu gesehen werden müssen“ (Kaufmann 2011). Verschoben hat sich der Blickwinkel auf die Welt. Die bipolare Weltordnung hat sich aufgelöst. Globalisierung, Transnationalisierung und Säkularisierungsprozesse sind Teilphänomene eines vielschichtigen Umwandlungsprozesses und bedingen ihn gleichzeitig. Was bedeutet dies für die Gesellschaft und vor allem für die Rolle der Kunst? Bevor im Rahmen dieses Artikels auf die Bestimmung und damit verbunden die (neue) Aufgabe der Kunst im 21. Jahrhundert eingegangen wird, sollen der Begriff der Transformation und ihre Bedeutung im Gesellschaftssystem erläutert werden; anschließend die wesentlichen Veränderungen, die die Kunst in der Vergangenheit erfahren hat, skizziert werden. Ebenso werden die kunstgeschichtlichen Dimensionen, die einen besonders intensiven Wandel durchlebt haben und die Rolle der Kunst innerhalb der gesellschaftlichen Umformungen der Gegenwart beschrieben.

Das Wort Transformation meint Umformung. Mittels eines Transformationsprozesses werden das Aussehen, der Inhalt oder auch die Anordnung eines Objekts oder einzelner Elemente eines Systems verändert. Der amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman beispielsweise hat technologischen Wandel als nicht additiv, sondern transformativ beschrieben (Postman 1992). Ein Fernsehgerät oder ein Internetanschluss ergänzt den Erfahrungshorizont des Menschen nicht nur, er verschiebt diesen nachhaltig. Als Basis für weiterführende Erläuterungen zu einzelnen Transformationsprozessen ist von Bedeutung, dass die westlich zivilisierte Gesellschaft der Gegenwart ein komplexes System ist, das in Teilsysteme untergliedert ist (Luhmann 1977), die sich kontinuierlich ausdifferenzieren. Innerhalb eines Systems, so z. B. der Gesellschaft, erfüllen diese Teilsysteme jeweils eine bestimmte Funktion für das Ganze. Sie sind dementsprechend Funktionssysteme, die miteinander verzahnt sind. Jede Entwicklung oder auch Transformation innerhalb eines Systems zieht eine Veränderung anderer Systeme mit sich (so wie sich z. B. nach dem politischen Transformationsprozess „Mauerfall“ auch ökonomische und gesellschaftliche Sphären nachhaltig verändert haben). Die postmoderne Welt zeichnet sich also durch eine stark ausgeprägte Komplexität mit hoch differenzierten Teilsystemen aus. Durch Modernisierung, Rationalisierung und die allgemeine technologische Beschleunigung wird die Geschwindigkeit des Transformationsprozesses insgesamt forciert, da Teilsysteme Schnittmengen haben und sich so gegenseitig aktivieren und intensivieren. Ergo: Je modernisierter ein Land ist, desto schneller laufen die Transformationsprozesse ab. Wichtig bleibt an dieser Stelle festzuhalten: Mit jeder Transformation werden das Wissen und der Inhalt des vorangegangen Zustands mitgetragen. Und dieser „Kunst- und Gedankenvorrat der Vergangenheit [ist für die] zeitgenössische Fortsetzung“ (Jessen 2011) nicht nur innerhalb der Kunst von wesentlicher Bedeutung.

Der Philosoph Dariusz Aleksandrowicz hat vier transformierbare Aspekte von Kultur definiert: die kulturgeschichtliche Betrachtungsweise, die soziale Dimension, sowie die Hardware und Software (Aleksandrowicz 1998). Welche Umformungen diese Aspekte in der Kunstgeschichte erfahren haben, soll in den folgenden Kapiteln ausgeführt werden. […]


* Aleksandrowicz, D. (1998). Kulturelle Kosten der Transformation. Frankfurt an der Oder: Frankfurter Institut für Transformationsstudien.
* Jessen, J. ( 2011). Hoch die Hochkultur! Die ZEIT (Feuilleton), Nr. 28, Hamburg: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. [WWW-Dokument entnommen am: 11.11.2011] URL. http://www.zeit.de/2011/28/Hochkultur.
* Kaufmann, S. (2011). Mekka für Netzwerker. Martin Wehmer: Ein deutscher Künstler in Peking, Kunstzeitung 179, Regensburg: Lindinger+Schmidt, S. 3.
* Luhmann, N. (1977). Differentiation of Society. Canadian Journal of Sociology 2:1, Edmonton: University of Toronto Press, S. 29-53.
* McLuhan, M. (1970). Understanding Media – Die magischen Kanäle. Frankfurt am Main: Fischer, S. 64f.
* Postman, N. (1992). Technopoly: the Surrender of Culture to Technology. New York: Random House, S. 18.


Dieser Artikel ist die Verschriftung eines im Mai 2011 an der Universität Regenburg gehaltenen Vortrages. Bei Interesse schicke ich den Volltext gern per Email zu (siehe Kontakt).