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Über die Zufriedenheit. Drei Positionen

15.07.2011

Was macht das Leben lebenswert? Immanuel Kant, Stéphane Hessel und der Happy Planet Index geben Auskunft darüber.

Was ist das Wichtigste im Leben? Zufrieden sein. Doch wer ist das schon? Costa Ricaner! Menschen aus der Dominkanischen Republik! Jamaikaner!, so der Happy Planet Index (HPI). Dieser Index ist ein Instrument, das versucht, die Zufriedenheit der einzelnen Länder der Welt darzustellen. Mithilfe einer Kombination aus Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung und dem ökologischen Fußabdruck hat der HPI-Report von 2009 erstaunliche Ergebnisse zu Tage gefördert. Auf Platz eins befindet sich Costa Rica. Auf den weiteren Plätzen gesellen sich neben einem südostasiatischen Staat (Vietnam) eine ganze Reihe von mittel- und südamerikanischen Staaten: die Dominikanische Republik, Jamaika, Guatemala, Vietnam, Kolumbien, Kuba, El Salvador, Brasilien und Honduras.

Was macht glückliche Länder so happy?

Länder, die als hoch entwickelt gelten, die von einer Konsumkultur geprägt sind, die sich in allen möglichen leistungsbezogenen Ranglisten auf den ersten Plätzen breit machen, wie die USA, Großbritannien oder Deutschland finden sich bei insgesamt 143 Staaten auf den Plätzen 114, 74 und 51. Sie liegen damit noch hinter Nicaragua, dem Land mit der größten Pro-Kopf-Verschuldung der Welt oder Bangladesh, regelmäßigem Opfer von Überschwemmungen gewaltigen Ausmaßes. Wie also kommen fast ausnahmslos lateinamerikanische Länder auf die ersten Plätze? Die Gründe sind u.a. Gewaltfreiheit (die Abschaffung der Armee), die Bedeutung von Familie und Freuden (solide soziale Netzwerke) und Ausgeglichenheit (eine positive Work-Life-Balance), die Natur (ein reiches natürliches Kapital), Gerechtigkeit (Gleichberechtigung von Frauen) oder Mitbestimmung (eine starke politische Partizipation). In diese Kerbe schlägt auch der Diplomat und Lyriker Stéphane Hessel, ehemaliger Résistance-Kämpfer und KZ-Überlebender, der mit seiner erschienenen Schrift „Empört Euch!“ gegen Kapitalmonopolismus wettert, Fremdenhass anprangert und gegen Ungleichheit propagiert.

Empört Euch!

Dieser Franzose, 2013 im Alter von 95 Jahren gestorben, bringt seinen Unmut mit dem Wunsch „Empört Euch!“ auf den Punkt. Er kritisiert „die Gesellschaft des Geldes“, die nicht „genügend Raum für Kreativität und kritisches Denken gibt“, er beklagt sich über „Lobbyisten“, „Bonibanker und Gewinnmaximierer, die sich keinen Deut ums Gemeinwohl scheren“. Ihm ist bewusst, dass den nachfolgenden Generationen, die den Holocaust oder die Angst um einen Atomkrieg nur aus Erzählungen kennen, die in einer Welt des Wohlstands und des Friedens aufgewachsen sind, die „Anlässe“ sich „zu engagieren, nicht mehr so offen zutage“ liegen. Ihm ist klar, dass jeder, der im 21. Jahrhundert etwas bewegen will „gut vernetzt sein“ und „sich aller modernen Kommunikationsmittel bedienen“ muss. Doch bedienen heißt nicht unterjochen lassen, wie er anlässlich des 60. Jahrestages des Programmes des Nationalen Widerstandsrates im März 2004 schon betonte. Denn die Massenkommunikationsmittel bieten „unserer Jugend keine andere Perspektive […] als den Massenkonsum, die Verachtung der Schwächsten und der Kultur, den allgemeinen Gedächtnisschwund und die maßlose Konkurrenz gegen alle“. Balance heißt das Zauberwort. Die technischen Möglichkeiten nutzen, sich aber nicht von ihnen abhängig machen. Stark sein, aber Schwache nicht unterdrücken. Erinnern, aber nicht in der Vergangenheit verhangen bleiben. Anstrengen, aber nicht konkurrieren. Die krankhafte Konkurrenz, vor allem in der sogenannten „freien“ Wirtschaft fußt auf einem stark verzerrten Bild vom erstrebenswerten Leben. Der Mangel an Vergleichsmöglichkeiten in der Kategorie Scheitern und das parallele Orientieren an den von den Medien proklamierten vermeintlich perfekten und wünschenswerten Lebensmodellen führt zu Unzufriedenheit.

Spezialisierung als Auslaufmodell

Unzufriedenheit führt zu Resignation und Frustration, die sich auf andere Menschen und Ebenen überträgt. Ebenso folgt daraus eine Sisyphusartige Anstrengung, die weit über das, was wir eigentlich leisten können, hinausgeht. Die Überanstrengung und Fokussierung der sogenannten High Potentials auf eine einzige Richtung lässt ein akademisches Proletariat entstehen, das nicht in der Lage ist, etwas anderes außerhalb des Berufes zu begreifen. Doch in Zeiten von irreversiblen Globalisierungseffekten ist die Spezialisierung ein Auslaufmodell. Aufgrund der vielseitigen Verflechtungen in Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur bedarf es dringend Menschen, die über den Tellerrand schauen. Der Ruf nach einem Studium generale wird wieder laut. Denn: „Oft sind sie technisch perfekt, doch bar allen Lebens“, wie Hanno Rauterberg in einem Artikel in der ZEIT (Nr. 24, 2011) konstatiert. Diese Diagnose bezieht sich zwar auf zeitgenössische Künstler, kann aber ebenso auf alle anderen Bereiche übertragen werden. Um diese Entwicklungen zu unterbinden, gibt es laut Rauterberg nur eine Möglichkeit: „Begeistert Euch, kehrt das Innerste nach außen, macht es wie Schlingensief“ und beschwört damit ähnlich wie Hessel die Tat. Nur zwei Jahrhunderte nach Kants Kategorischem Imperativ und dem Gebot, nur nach derjenigen Maxime zu handeln, die auch allgemeines Gesetz werden könne, folgt das Gros aller Handlungen entweder dem Kapital oder dem Wunsch anderer. Die intrinsische Motivation wurde eingekerkert von vermeintlichen Ansprüchen, vom Lockruf des Goldes und von der Propagierung des anstrengungslos zu erhaltenen perfekten Lebens durch die Medien.

„Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“, war der Slogan der Aufklärung – ein Denkansatz, der auch mehr als 225 Jahre später noch ebenso viel Bedeutung hat.

Quellen: Report des Happy Planet Index (2009), Stéphane Hessel (2011): Empört Euch! Berlin: Ullstein Verlag.