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Mint (2015)

02.09.2015

Die Uhr schlägt neun. Zum vielleicht zehnten Mal an diesem Morgen klickt das Feuerzeug. Sam schiebt den Vorhang beiseite und schaut aus dem Fenster. Die Straße ist fast ausgestorben. Nur ein schwarzer Mantel hüpft den Fußweg entlang. Enttäuscht geht er in die Küche und setzt sich an den Tisch. Sein Blick schweift durch den Raum und bleibt an der Ecke hängen. Sie ist leer. Er macht die Zigarette aus und geht ins Bad, schaut in den Spiegel und schenkt sich ein überdrehtes Grinsen. Er freut sich wahnsinnig, geht zurück ins Wohnzimmer, schaut auf die Uhr, aus dem Fenster, zündet sich eine an. Geht zurück in die Küche zur Kaffeemaschine, prüft den Wasserstand, tauscht die Kapsel, drückt den Knopf. Einen Moment lauscht er dem Rauschen der Maschine, dann wirft er die Zigarette in die Spüle.

Da klingelt es. Er rennt zur Tür, bedient den Summer, reißt sie auf und ruft in den Flur: „Hier. Hier. Oben.“ „Jaja“, kommt es von unten. Langsam kriecht ein Keuchen die Treppen hinauf. Zwei Männer schleppen ein riesiges Paket. Als sie es vor der Tür kurz absetzen wollen, schreit er fast: „Nein, nicht absetzen, hier hinein.“ Der Ältere brummt. Sie packen das Ungetüm und tragen es durch den Flur in die Küche. Sam steht schon bereit und weist mit kreisenden Armen in die Ecke. „Hier. Hier.“ „Jaja, Jungchen.“ Die Männer stellen die übermannshohe Kiste ab, trocknen die Stirn, atmen laut und machen sich daran, sie auszupacken. „Nein, nein. Das mache ich selbst“, geht Sam dazwischen. „Najut, Jungchen“, schnauft der Ältere und nestelt in seiner Jackentasche nach dem Lieferschein. Bedenkenlos erklärt sich Sam mit seiner Unterschrift zur Zahlung eines Monatsgehaltes bereit, greift in die Hosentasche und pflückt einen zerknitterten Braunen aus einem Bündel hervor. „Hier, die Herren. Danke und auf Wiedersehen.“ Er weist mit der Hand zur Tür. „Kann ich’n Wasser haben bitte?“, fragt der Jüngere. Sam schaut ihn scharf an: „Unten im Haus ist ein Kiosk. Außerdem gab’s ja Trinkgeld. Heißt ja nicht umsonst so.“ Der Jungsche starrt ihn an. Aber der Alte kennt solche Leute und nimmt den Kleinen sanft am Arm: „Lass uns gehen.“

Als die Tür schließt, rennt Sam in die Küche. Mit leuchtenden Augen steht er vor dem Ding, faltet voller Andacht die Hände vor dem Mund, wagt ein Tänzchen. Endlich, denkt er, end-lich! Seit dem Tod seiner Großmutter vor fast zehn Jahren will er ihn haben. Überall hat er ihn gesucht und schließlich gefunden. Nun ist es soweit. Auf dem Küchentisch hat er schon ein Messer bereit gelegt. Vorsichtig, um ihn nicht zu verletzen, öffnet er die Klebebänder, bedächtig – Streifen für Streifen. Nachdem er sorgfältig geprüft hat, ob alle Stellen aufgeschnitten sind, schält er Millimeter für Millimeter die Pappe ab. Schon leuchtet verheißungsvoll die Farbe durch die darunterliegende Noppenfolie. Auch hier trennt er die Klebestreifen behutsam und zupft die Folie ab.

[…]


Meine Kurzgeschichten und Erzählungen werden hier nur in Auszügen dargestellt. Bei Interesse schicke ich die Volltexte gern per Email zu (siehe Kontaktformular).