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Seelenberührer und Traumverführer: Der Symbolist Odilon Redon

08.04.2011

Der Franzose Odilon Redon ist ein Beispiel für die therapeutische Transformation durch Kunst – von den „Noirs“ zu gewaltigen Farbexplosionen.

Odilon Redon ist dem breiten Publikum wenig bekannt. In der Kunstgeschichte wird der Franzose als einer der bedeutendsten Vorläufer für Expressionismus und Surrealismus gehandelt. Zudem hat er Sigmund Freuds Traumdeutung künstlerisch vorweg genommen. 2011 ehrt das Pariser Grand Palais den Vorreiter und Solitär, den „Prinzen des Traumes“, mit einer großen Ausstellung.

Die Entdeckung der Natur und die Liebe zum Detail

Odilon (gebürtig Bertrand-Jean) Redon wird am 22. April 1840 in Bordeaux geboren und wächst in einem in der Nähe gelegenen Dorf in der Obhut einer Amme auf. Die Sommerferien verbringt er meist auf dem Weingut seiner Eltern – „Peyre-Lebades“. Das Leben in der dörflichen Gemeinschaft und die sie umgebende Natur prägen ihn. Hier reifen seine Wahrnehmung und seine Liebe fürs Detail. „Religiosität“ und die „alten Volkssagen“ der Landbewohner (art 04/11) hinterlassen einen tiefen Eindruck. Schon als Siebenjähriger fasst Redon den Entschluss, Maler zu werden.

Das Gefühl von Verlassenheit und Einsamkeit

Doch mit der Weite der Wiesen und Felder ist nicht nur eine Freiheit verbunden. Dr. Margret Stuffmann, Expertin für französische Druckgrafik und Zeichnung, stellt im Katalog zur Redon-Ausstellung in der Frankfurter Schirn (2007) fest: Sein „Gefühl des Verlassenseins, von Einsamkeit“ hat zur Entwicklung einer Persönlichkeit geführt, die gefühlsbetont, verträumt und elegisch ist. Und eben diese Eigenschaften manifestieren sich auf eine fast schon beängstigende Weise im Frühwerk sowie auf eine metaphysisch anmutende, emphatische Art im Spätwerk des Franzosen.

Das Frühwerk: Die Kohlezeichnungen Odilon Redons

Das Frühwerk des Franzosen besteht aus düsteren Kohlezeichnungen, den sogenannten „Noirs“. Redon kommt dem Wunsch des Vaters, Architektur zu studieren, zuerst nach. Nach seinem Scheitern im Examen lernt er beim französischen Historienmaler und Bildhauer Jean-Léon Gérôme. Dieser ist dem Neoklassizismus verbunden. Redon kann sich mit seiner Malweise nicht anfreunden. Sein Meister im Geiste wird der Grafiker Rodolphe Bresdin. Die finanzielle Situation seines Elternhauses erlaubt es ihm, nach Paris überzusiedeln, wo er tief in das künstlerische Leben der Hauptstadt eintaucht. Er interessiert sich nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Literatur und naturwissenschaftliche Themen. Gustave Flaubert, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe beeinflussen ihn wesentlich. Mit dem Lyriker Stéphane Mallarmé verbindet ihn eine enge Freundschaft. Der Dichter gehört mit Baudelaire und Arthur Rimbaud zu den Wegbereitern der modernen Lyrik. Reisen in die Niederlande machen ihn mit Rembrandt vertraut, der ihn ebenfalls inspiriert. Redons „schwarze“ Periode nimmt vor allem literarische, naturwissenschaftliche und metaphysische Sujets auf. So tauchen unter anderem der Rabe (Poe) und das Thema des gefallenen Engels (Baudelaire) in seinen Kohlezeichnungen auf.

„Das Kleine als Erkenntnis des Unendlichen“

Margret Stuffmann sagt in einem Interview über Redon: „[E]r sieht auch im Kleinen das Große – das Kleine als Erkenntnis des Unendlichen“. Und so werden Details im Spätwerk Redons zu einem wesentlichen Merkmal seiner Kunst. Bilder wie die „Jungfrau mit Heiligenschein“ markieren den Übergang von den Noirs zu gewaltigen Farbexplosionen. Kurz vor der Jahrhundertwende schreibt er in einem Brief an den französischen Maler und Romancier Émile Bernard, wie die Schwarzmalerei aus seinem Leben schwindet: „It exhausted me a lot“. Etwa zehn Jahre später wird der Schmetterling zu einem bedeutenden Thema in seinem Werk. Er ist ein Symbol für die Metamorphose. Der Maler selbst bezeichnet sie als „winged flowers of lights“. Von nun an charakterisiert eine spektakuläre Farbgebung Redons Werk.

Das Spätwerk: Explodierende Farben und der universale Augenblick

Religiöse und mythologische Motive (wie Zyklop oder Pegasus), Einflüsse indischer und japanischer Kunst, Blumenarrangements und Frauenporträts sind nach der psychologischen Wende durch eine Farbgewaltigkeit charakterisiert, die zumindest in dieser Zeit ihresgleichen sucht. Redon beherrscht seine Farbkombinationen perfekt und ist in der Lage, mehrere kräftige Farbtöne so zu vereinen, dass sie nicht konkurrieren, sondern sich gegenseitig intensivieren und in spielerische Interaktion treten. Redon avanciert zum Meister der Darstellung des Undarstellbaren und führt den Betrachter in eine Traumwelt, in der das tiefste Unbewusste aufgewühlt und zugleich beruhigt wird. Wenn die Kunst das Wesen der Freundschaft in sich birgt, indem sie tröstet und teilt, dann ist der französische Symbolist die künstlerische Inkarnation eines Seelenverwandten. Er ist in der Lage, verborgene Sehnsüchte, lang gehegte Träume, schmerzhafte Erinnerungen und die vielen kleinen und großen Emotionen, die unser Dasein bestimmen, auf Papier und Leinwand zu bringen.

Die Betrachtung von Redons Werken führt zu einem kleinen universalen Augenblick, in dem für einen winzigen Moment der Unendlichkeit nichts zu wissen oder zu fragen bleibt.

Quelle: Michael Gibson (2011) Redon: 1840-1916. Der Prinz der Träume. Taschen Verlag.