Der Begriff der Fremdheit ist wohl zu keiner Zeit gegenwärtiger gewesen als zu Beginn des 21. Jahrhundert. Fremdheit ist fremdes Subjekt, aber auch fremdes Objekt (Holzbrecher 1995: 47). Sie begegnet uns alltäglich in mannigfaltiger Weise, ist zum wesentlichen Bestandteil unserer Kultur, vielleicht sogar zur Kehrseite der Modernisierungs- und Globalisierungstendenzen geworden. Durch Einwanderung ist insbesondere in Metropolen das Fremde allgegenwärtig und begegnet uns tagtäglich. Durch die Medien, hier im Speziellen das Fernsehen, gelangen fremde Kulturen in unsere Wohnzimmer. Auf der anderen Seite ist auch die Fremdheit im Subjekt selbst gestiegen. Die wachsenden Herausforderungen in Sachen Flexibilität und Mobilität entfremden uns von uns selbst. Der Soziologie Ulrich Beck sieht als Konsequenz fortschreitender Rationalisierung eine „hergestellte Ungewissheit und Unkontrollierbarkeit“ (Beck 1993: 46). Die Dynamik der sich rasant verändernden Situationen erfordert neue Denkmuster, die sich auch sprachlich manifestieren. Die Tatsache, dass weniger Zeit für die intensive Auseinandersetzung mit dem Anderen bleibt, fordert seinen Tribut und kann zu Fremdheit führen. Die Verknappung und Entsymbolisierung der Sprache, die in vielen Bereichen nur noch funktional erscheint, hervorgerufen in erster Linie durch die digitalisierten Kommunikationsformen wie Mobilfunk, SMS und Internet, entfernt die Menschen voneinander. Alfred Holzbrecher sieht neben dem Fremden als fremdes Subjekt, das auf unterschiedlichen Biographien und „seinen kultur- und milieuspezifischen Deutungsmustern“ (Holzbrecher 1995: 47) beruht und dem Fremden als Objekt einer fremden Kultur noch zwei andere Erscheinungen, in denen uns das Fremde gegenübertritt. Die Fremdheit als geschichtliche Dimension beschreibt, dass die Vergangenheit, der „Kontakt mit historischer Schuld“ (Holzbrecher 1995: 48) zu einer neuen Qualität im interkulturellen Austausch führt. In Anlehnung an Böhme & Böhme beschreibt er das Fremde als das „Andere der Vernunft“, also die Dimension des Unbewussten innerhalb unserer Realität, die sich auf mehreren Ebenen zeigt: alles Irrationale, wie „ästhetische, sinnliche oder (körper-)wahrnehmungsorientierte Erkenntnisprozesse“ (Holzbrecher 1995: 47).
Fremdheit als eine Verschiedenheit oder Andersheit kann mit dem Begriff der Differenz in Verbindung gebracht werden. Der Studienbrief „Philosophien der Differenz“ thematisiert u.a. das „Denken der Differenz als Erschließung eines neuen Gebiets der Philosophie“. Mit dieser Arbeit möchte ich über eine nähere Betrachtung von Zeichen und Symbol und einer Beschreibung der Andersheit in Form von Fremdheit diesen Begriff stärker herausarbeiten. Die Frage lautet: Warum kann der Übergang vom Zeichen zum Symbol Fremdheit hervorrufen?
Die Psychoanalytikerin und Sprachwissenschaftlerin Julia Kristeva geht über die Unterteilung des Zeichens in Signifikant und Signifkat, die von Ferdinand de Saussure (de Saussure 2004) beschrieben wurde, hinaus und trägt mit der Bestimmung der Beziehung des Semiotischen und Symbolischen zum Differenzdenken bei. Den Unterschied dieser Strukturen nennt sie symbolische Differenz. Diese Differenz kann die Ursache für verschiedene Prozesse in Gesellschaft und Kultur sein, aber auch Fremdheit hervorrufen (Kimmerle 2001: 21).
Nach der Auseinandersetzung mit Ernst Cassirers symbolischer Form (Cassirer 2004) sowie der oben dargestellten Vertiefung in Kristevas Begriffe des Semiotischen und Symbolischen soll nach einer Beschäftigung mit Julia Kristevas Arbeit „Fremde sind wir uns selbst“ (Kristeva 1990) ihr Fremdheitsbegriff herausgearbeitet und mit den Erkenntnissen aus ihrer Schrift „Die Revolution der poetischen Sprache“ (Kristeva 1978) verbunden werden, um im letzten Teil dieser Arbeit mögliche Bruchstellen beim Übergang vom Semiotischen zum Symbolischen aufzuzeigen.
* Beck, Ulrich (1993): Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt: Suhrkamp.
* Holzbrecher, Alfred (1995): Die Wahrnehmung des Anderen als pädagogische Herausforderung: Zur Gestaltung interkultureller Zwischenräume. Politisches Lernen 17(3/4): 47-60.
* Saussure, Ferdinand de (2004): Die Natur des sprachlichen Zeichens. S. 64-79 in: E. Bisanz (Hrsg): Kulturwissenschaft und Zeichentheorien. Zur Synthese von Theoria, Praxis und Poisesis. Münster: LIT Verlag.
* Kimmerle, Heinz (2001): Weiblichkeit und andere Anzeichen des Semiotischen und Symbolischen bei Kristeva. S. 20-39 in: Philosophie der Differenz. Kurseinheit 3: Die überwiegend praktische Seite des Denkens der Differenz. Studienbrief der Universität Hagen. Hagen.
* Cassirer, Ernst (2004): Der Begriff der symbolischen Form und die Systematik der symbolischen Formen. S. 271-314 in: E. Bisanz (Hrsg): Kulturwissenschaft und Zeichentheorien. Zur Synthese von Theoria, Praxis und Poisesis. Münster: LIT Verlag.
* Kristeva, Julia (1978): Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
* Kristeva, Julia (1990): Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Diese Arbeit entstand im Rahmen meines Studiums.
Bei Interesse schicke ich den Volltext gern per Email zu (siehe Kontaktformular).