web analytics

— Hide menu

Tauchgänge (2010)

30.05.2010

Der Kalender zeigt den Beginn des Frühlings an, doch der Wind bläst eisig durch die Straßen. Sie läuft in schnellen, sicheren Schritten durch die dunkle Stadt, umströmt von ebenfalls sich hastig vorwärtsbewegenden Großstädtern, die ob der Kälte keine Muße haben, kurz inne zu halten und den Himmel zu betrachten, der noch leicht erleuchtet ist und dessen Wolken wie Wellen quellen. Der Alltag hat sie seit Jahren fest im Griff, treibt in allseits bekannten Bahnen, lässt wenig Zeit, einmal hinauszuschwimmen. Ihre Gedanken rauschen und sprudeln, fließen ineinander und überfluten etwas die Freude auf den bevorstehenden Abend. Ein befreundetes Pärchen, er Koch, sie Künstlerin haben zu einem Kochkunstabend in einem alten Schwimmbad eingeladen: Ein vom Wasser inspiriertes Menü inmitten einer Multimediainstallation.

Sie hat wenige Augenblicke zuvor den Hof des Gebäudes betreten, als er von der anderen Seite her angerannt kommt, denn er ist mal wieder in einen Zeitstrudel geraten. Nahezu atemlos stößt er im Hof des Gebäudes auf sie, die noch vor der Tür steht und eine Zigarette raucht. Er ist vom ersten Moment an fasziniert von ihrer quellenden Lebendigkeit, die sie ausstrahlt, die kleine Wirbel um sie herum zu erzeugen scheint, doch ihre gleichzeitig kühle, nahezu eisblaue Aura lässt nichts mehr als einen Blick in ihre Augen zu. Sie schaut ihn ebenfalls an, wirft ihre Zigarette weg und nickt ihm auffordernd in Richtung Tür weisend mit dezentem Augenspiel zu. Er öffnet ihr die Tür und sie betreten den bereits mit Lichtfäden durchzogenen Raum. Sie schwebt herein wie eine Tänzerin, beseelt vom Verlangen nach einem außergewöhnlichen kulinarischen Erlebnis, schon einen meeressalzigen Geschmack auf der Zunge, der sie durchfließt und ausfüllt, getragen von der blau-grauen, fast nebligen Atmosphäre. An einer großen Tafel sitzt bereits eine traute, wie fremde Runde, in Erwartung sich an einem köstlichen Menü mit dem vielversprechenden Namen „Tauchgänge“ zu laben: ein Festmahl in Gesellschaft, als magische Verschmelzung von Geist und Körper, von Nahrung und Nährung. Der großzügige Raum ist in flackerndes Licht getaucht, Bilder von umher schwimmenden Fischen sind an die Wand geworfen, ozeanische Sehnsüchte projiziert, Algenreste züngeln durch den Raum, treffen sich und werfen Schatten an die Wand und die mit Gläsern üppig bestückte Tafel reflektiert das Licht, flattert wie Veilchenseide, bricht Strahlen in blauen Facetten: wabert ultramarin, schwimmt indigo mit violett verschmelzend, schwemmt grasgrün heran und sie lacht ein helles Lachen, einer Brandung gleich, das ihn durchflutet. Als sie sich auf den neben ihm zufällig zugewiesenen Platz setzt, scheint der Stuhl für einen Moment wellengleich nachzugeben. Sie gerät in hauchdünnes Taumeln und kommt ihm ein winziges Stückchen näher. Und sein Duft dringt in ihre Nase: herb und rau wie der Ozean. „Salzflut“, denkt sie.

[…]


Meine Kurzgeschichten und Erzählungen werden hier nur in Auszügen dargestellt. Bei Interesse schicke ich die Volltexte gern per Email zu (siehe Kontaktformular).