Der von Karl Philipp Moritz verfasste, autobiographisch gefärbte, in vier Bänden zwischen 1785 und 1790 veröffentlichte Roman „Anton Reiser“ mit dem Untertitel „Ein psychologischer Roman“ beschreibt den Werdegang eines Jünglings in der Sturm-und-Drang-Zeit. Moritz gab zwischen 1783-93 das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde heraus, das sich der Etablierung erster Ansätze der empirischen Psychologie verschrieben hatte. In dieser Zeitschrift sollte die Geschichte um Anton Reiser ursprünglich als Modellfall Aufnahme finden (Kaiser 2002: 791).
Das Kind Anton Reiser vereint so ziemlich alle Eigenschaften in sich, die ihm den Weg eines klassischen Versagers zu ebnen scheinen. Die in erster Linie aus familiärer Verwahrlosung entstehende sozial-emotionale Inkompetenz drückt ihm den Stempel des ewigen Verlierers auf. Angst, Isolation, Komplexe, Krankheit und Zweifel beherrschen ihn.
Auch wenn der Zweck seiner Lesewut in erster Linie Ablenkung und Kompensation ist, bilden sich im Laufe der Jahre sowohl positive als auch negative Begleiterscheinungen heraus, die Antons Persönlichkeit beeinflussen. Anton entwickelt schon sehr früh eine starke Phantasie und Einbildungskraft. Die Masse der Literatur, Neugier und Ehrgeiz, sich tiefer in Themen einzuarbeiten, ebnen ihm den Weg zu einer weit gefächerten Bildung. Durch das systematische Erarbeiten von Wissen, gerade im Bereich der Beschäftigung mit wissenschaftlichen und philosophischen Themen, wird seine Denkkraft kontinuierlich ausgebaut. Die intensive Beschäftigung mit unterschiedlichen Werken innerhalb eines Genres schärft seine Urteilskraft. Anton trägt sehr viele ideale Eigenschaften theoretisch in sich; mangels sozialer Erfahrung ist er aber nicht in der Lage, sie auszuleben.
Der Teufelskreis der Isolation durch die einsame Lektüre kann nicht durchbrochen werden. Denn jeder Kontakt nach außen, der immer und immer wieder in Enttäuschungen mündet, führt ihn zurück in die fiktive Bücherwelt. In einem Zitat von Elke Schmitters heißt es: „Was wir über den Menschen wissen, kommt aus Erfahrung und Literatur“. Und weil Anton die Erfahrungen mit der wirklichen Welt so gut wie versagt bleiben, wird er nie genug über die Menschen und damit sich selbst erfahren, um seine „kranke Seele“ (Müller 1987: 326) zu heilen.
* Joachim Kaiser (2002) (Hrsg.): Das Buch der 1000 Bücher. Harenberg Verlag.
* Lothar Müller (1987): Die kranke Seele und das Licht der Erkenntnis. K. Ph. Moritz‘ Anton Reiser. Frankfurt / Main.
Diese Arbeit entstand im Rahmen meines Studiums.
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