03.08.2010
Patti Smith zeigt auch noch mit 63 Jahren, dass gelebtes Leben und lebendige, ergreifende Musik nicht voneinander zu trennen sind.
In einer Zeit, in der Casting-Show-Gewinner bisweilen berühmter zu sein scheinen als die wirklichen Stars des Rock und Pop, ist es gut zu wissen, dass auch die Helden von damals den Weg auf die Bühne noch immer finden und genau dort das wahre Leben musikalisch präsentieren. Dies tut z. B. Patti Smith, die am 5. Juli 2010 in der Zitadelle Spandau (Berlin) zu einem Wechselbad der Gefühle geladen hat. Hier zeigt sich auf eine wunderbar ergreifende Weise, wie sehr das gelebte Leben auf die Musik Einfluss nimmt und wie wenig beides voneinander zu trennen ist.
Unabhängigkeit und Kunst
In ihrem kürzlich erschienen Buch „Just Kids: Die Geschichte einer Freundschaft“, das die Freundschaft zum Fotografen Robert Mapplethorpe erzählt, die aus einer intensiven und unschuldigen Liebesbeziehung in jungen Jahren entsteht, zeichnet Patti Smith den steinigen Weg, der in den Olymp des Rock führt. Ihr Leben ist eine Chronik des Suchens und Findens und in ihrem Buch lassen sich die künstlerischen Entwicklungsprozesse, durch die Smith und Mapplethorpe gegangen sind, sehr schön nachvollziehen. Patti und Robert betrachten die Kunst als Berufung und arbeiten von Anfang an in kleinen Schritten daraufhin – sie experimentieren und erproben sich, stets im festen Glauben daran, eines Tages berühmt zu sein. Dies ist ein Buch, das die Schwierigkeiten auf dem Weg zum Künstlersein nicht verschweigt, sondern aufzeigt, wie wichtig Niederlagen für die Entwicklung einer unabhängigen Künstlerpersönlichkeit sind.
Patti Smith und die wilden 70er Jahre
Patti Smith wurde am vorletzten Tag des Jahres 1946 in Chicago geboren, zieht, nachdem sie bereits ein Kind geboren hat, nach New York, um dort in die „wilde“ Zeit der 1970er einzutauchen. Doch geht es in dieser Zeit nicht primär um Sex, Drugs & Rock’n’Roll, sondern um Freiheit, Glauben und Kreativität. Anfang der 70er Jahre liegt Smiths künstlerischer Fokus noch auf der Lyrik, aus der sich dann nach und nach ihre Songtexte entwickeln. Seit 1975 hat Patti Smith elf Studio-Alben aufgenommen, die letzten beiden 2007 (Twelve) und 2008 (The Coral Sea, Lesung mit Musik). Anfang der 1980er heiratet Smith und bekommt zwei Kinder. 16 Jahre lang widmet sie sich ihrer Familie, lässt die Musik beiseite und kommt erst Mitte der 1990er Jahre mit dem Album „Gone Again“ zurück.
People have the power
Patti Smiths Art zu singen und sich auf der Bühne zu präsentieren, ist stark von ihrer Persönlichkeit geprägt. Die Dinge, über die sie singt, spricht, die sie herausschreit, speisen sich aus ihrer Lebenserfahrung. Die Lieder erhalten dadurch eine erstaunliche Lebendigkeit und gehen tief ins Herz derjenigen hinein, die diese Erfahrungen teilen. Auch die unterschiedliche Darbietungsweise, die von zärtlich bis rau changiert, unterstreicht die persönlichen Wurzeln der Inhalte. Smiths Stimme kann sanft und zerbrechlich klingen, rockig und schroff sein, aber auch derb und dreckig. Sie ist eine Frau, die etwas zu sagen hat und es auch tut. Ohne Rücksicht darauf, anderen eventuell auf die Füße zu treten, lädt sie ihre Musik politisch auf und macht somit auf die Probleme unserer Zeit aufmerksam. Zugleich spricht sie ihren Fans und allen anderen die Kraft zu, etwas ändern zu können („People have the power“). Ein Konzert dieser authentischen Künstlerin lässt den Zuhörer in ein Wechselbad der Gefühle tauchen: Man trauert über verlorene Freunde, erinnert sich an kostbare Momente der Freiheit, ist zutiefst gerührt, fühlt den Schmerz der Niederlagen, die unser Leben manchmal unerträglich machen. Man tanzt und feiert und fühlt die Gewalt der Intensität, die ein Leben haben kann, wenn man es lebt.
15 Minuten Ruhm
Jeder, der berühmt werden will und sich in die Casting-Shows drängt, sollte sich überlegen, ob ihm die 15 Minuten Ruhm, die Andy Warhol bereits 1968 jedem prognostiziert hat, reichen. Oder ob der lange Weg zur medialen Aufmerksamkeit mit einem gereiften und damit authentischen künstlerischen Beitrag nicht auch der für die Ausbildung einer individuellen Persönlichkeit wertvollere Weg ist. Denn, so abgedroschen es klingt: Der Weg ist das Ziel. Gute Musik zeichnet sich durch Authentizität aus, die man nur ausstrahlen kann, wenn man sich den Niederlagen des Lebens auf die gleiche Weise stellt, wie man seine Siege zelebriert. Patti Smith lehrt uns, dass alles möglich ist, wenn wir an uns glauben und beharrlich unseren Weg gehen.